■ Scheibengericht: Pieter Wispelwey
Schubert, Dvořák, Tschaikowsky, Arensky u.a. (Channel Classics)
Der junge niederländische Cellist Pieter Wispelwey hat sich u.a. (aber nicht nur!) einen Ruf in Sachen historischer Aufführungspraxis bzw. „Authentizität“ erworben, wobei durch Instrumentenwahl und Interpretation eine größtmögliche Annäherung an den mutmaßlichen Stil der Entstehungszeit der Stücke erreicht werden soll. Was aber ist nun „historisch“ oder „authentisch“ daran, Schuberts Violinsonaten für das Cello zu transponieren? Ganz einfach: die Transposition war damals im 19. Jahrhundert verbreitete Praxis, also gerade das Nichtauthentisch- sein ist sozusagen historisch... Anders ausgedrückt: Authentisch kann man in diesem Zusammenhang bisweilen auch dann sein, wenn man es eben gerade nicht ist.
Ohnehin ist es heute der Normallfall, daß die Arpeggione-Sonate von einem Cello gespielt wird, da die Arpeggione (ein sechssaitiges gitarrenähnliches Instrument zum Streichen) weitgehend der Vergessenheit anheimgefallen ist. Die Transposition der Violinsonatinen ist jedoch Wispelweys eigene Kreation und vermittelt mit Hilfe der Begleitung eines plätschernden und leicht scheppernden Klanges eines echt authentischen Fortepianos von zirka 1815 einen aufschlußreichen Eindruck von der damaligen musikalischen Praxis. Seine Einstellung zur Authentizität hat Wispelwey bereits mehrfach dokumentiert: So ließ er sich im vergangenen Jahr bei Tschaikowsky, Arensky und Dvořák von einem Harmonium anstelle eines Klaviers begleiten: eine Aufnahme mit Kuriositätswert, wenn auch nach dem dritten Mal Hören klar wird, wieso langfristig das Klavier den näselnden Knatschton des phlegmatischen Harmoniums verdrängte. Wispelweys Cello-Part jedenfalls ist stets sein Geld wert. Er ist keiner, der nur „schön“ Ligeti im gleichen Stil wie Bach und Schubert ebenso wie Roger Sessions herunterkratzt, sondern er verstärkt das charakteristische Profil der Stücke, ohne dabei natürlich die typisch Wispelweysche Prägung zu vergessen. Dies heißt vor allem, daß er jedem einzelnen Ton seine geradezu persönliche Aufmerksamkeit widmet, ohne deswegen den großen Bogen eines Gesamtzusammenhangs außer acht zu lassen, interpretatorische Phantasie und eine wirklich ungewöhnliche Vitalität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen