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Schauspielermusiker Ulrich Tukur"Ich habe Literatur gefressen"

Ulrich Tukur, bislang schon Hansdampf in vielen kulturellen Gassen, hat nun auch noch Erzählungen geschrieben. Ein Gespräch über Schreibhemmungen, E.T.A. Hoffmann und den Tod in Venedig

Theaterstar, Filmschauspieler und Musiker Ulrich Tukur über sein Buch: "manches ist erstunken und erlogen". Bild: dpa

taz: Herr Tukur, wie kamen Sie denn zur Schriftstellerei?

Ulrich Tukur: Zum Schreiben kam ich wie die Jungfrau zum Kind. Ich lebe seit acht Jahren in Venedig und bin immer wieder gefragt worden, ob ich nicht ein Buch darüber schreiben könnte. Und immer wieder habe ich geantwortet: Ich denke nicht daran, das ist so überflüssig wie ein Kropf. Denn Venedig ist ja schon in Grund und Boden geschrieben worden.

Wer hat Sie denn gefragt?

Eine Dame zum Beispiel, von der sich herausstellte - und ich wusste gar nicht, dass es das gibt -, dass sie ein Literatur-Scout war. Und diese Dame war so hartnäckig, dass ich mir dachte, also gut, dann schreibe ich halt in Gottes Namen eine Geschichte. Und es ergab sich, dass der Oberkellner meiner Lieblingskneipe in Venedig, Loredan, auch ein sehr schönes Subjekt zum Beschreiben war. Also setzte ich mich hin und schrieb eine Geschichte über ihn. So war erst einmal Ruhe. Dann aber tauchte ein Literaturagent auf, der meinen Erguss etlichen Verlagen angeboten hatte, und der Claassen-Verlag machte mir ein Angebot, das sehr gut aussah. Ich war so leichtsinnig zu unterschreiben, bekam einen netten Vorschuss, gab ihn schnell aus und saß in der Falle. Eigentlich hätte das Buch in einem Jahr fertig sein sollen. Meine Verlegerin gewährte mir zweimal großzügig Aufschub, denn ich hatte durch Film-, Musik- und Theaterverpflichtungen wenig Zeit, konzentriert daran zu arbeiten, aber im Laufe von drei Jahren habe ich mir das Buch dann abgerungen.

Hatten Sie sich denn vorher irgendein System zurechtgelegt, oder schrieben Sie, wenn Sie die Zeit hatten, einfach drauflos?

Ich hatte keine Ahnung davon, wie man Bücher schreibt, und ich freute mich sehr, als ich irgendwo las, dass sich Flaubert fast umgebracht hatte vor Ängsten und Schreibhemmungen. Ich habe dann 15 mögliche Geschichten erst skizziert und fing mit einer an. Immer wieder hing ich fest. Es war qualvoll und ging einfach nicht weiter. Aber bei der zweiten Erzählung habe ich dann herausgefunden, wie wichtig es ist, gut zu recherchieren und viel Material zusammenzutragen, mit dem man dann wuchern und jonglieren kann. Und mittlerweile kannte ich ja auch viele wunderbare Menschen, die die Skurrilität von Venedig fabelhaft reflektieren.

Das Buch ist sehr lustig, manchmal traurig, aber auch zwischendurch ziemlich gruselig. Sie beschreiben zum Beispiel ein Erlebnis, bei dem Sie dem Gespenst der Geliebten Ihres Großvaters begegnen. Einer seltsamen, schönen Frau, die selbst in der größten Hitze noch einen Pelzmantel trägt!

Mein Buch nimmt es mit der Wahrheit nicht immer ganz genau, manches ist erstunken und erlogen. Die Geschichte, die Sie erwähnen, aber ist erfunden. Denn die Geisterstunde ist im mediterranen Raum nicht um Mitternacht, sondern um die Mittagszeit, wenn die Hitze am größten ist, wenn die Luft flirrt, wenn der bocksfüßige Gott Pan aus dem Gebüsch tritt und Flöte spielt, wenn es heiß ist, still, alles schläft und die Gardinen sich im dunklen Fenster bauschen und es blendend hell ist da draußen und ein Windstoß den Staub der Straße aufwirbelt - dann tauchen die Geister auf.

Einige Geschichten erinnerten mich stark an E. T. A. Hoffmann, und das Buch ist oft sehr fantastisch. Wie funktioniert das so bei Ihnen mit Ihrer Fantasie?

Ich weiß es auch nicht genau. Weil Sie E. T. A. Hoffmann erwähnen: Ich habe als Junge all das gelesen. Ich habe diese Literatur aufgefressen. Als ich ein Kind war, gab es bei uns zuhause kein Fernsehen. Meine Eltern lehnten das ab, es war ihnen zu prollig. Also musste ich lesen. Ich verschlang alles, was mir in die Finger kam. Und das ist dann ein Schatz, der in einem ruht und den man beliebig heben und benutzen kann.

Dann sind Sie sicher froh, Ihr Buch geschrieben zu haben?

Auf dieses Buch bin ich viel stolzer als auf jeden Film, den ich je gemacht habe, weil es einfach mein Kind ist. Es ist zwar stilistisch etwas aus der Zeit gefallen, aber ich kann nun mal nicht anders schreiben. Ich finde, dass Sprache auch schön klingen muss, dass sie melodisch sein sollte, dass man auch lange Sätze schreiben darf, wenn sie einen stimmigen rhythmischen Bogen haben. Ich mag es nicht, wenn die Dinge nur mit Subjekt, Prädikat und Objekt verhandelt werden, knapp und oft abgehackt. Nicht, dass Dekoration an sich ein Wert ist, aber ein Haus mit hübschen Verzierungen ist mir lieber als ein flächiger nüchterner Neubau.

Über dem Buch schwebt auch ein morbider Hauch, und es wird viel gestorben. Aber gerade bei einigen Todesszenarien musste ich sehr lachen. Was haben Sie für ein Verhältnis zum Tod?

Früher hatte ich ein sehr verkrampftes Verhältnis zum Tod und eine Riesenangst vorm Sterben. Weil ich das Leben so liebe und es eigentlich nicht einsehen kann, dass es einem so schnell wieder genommen wird. In Italien hat sich das geändert. Natürlich ist das ein Klischee - Venedig, die Stadt des Vergehens -, aber man sieht auch im touristischen Venedig die alten Menschen auf der Straße, bis sie sterben. Ein natürlicher Teil des Lebens ist der Tod, und der wird in Italien entspannter verhandelt. Und ich habe dort begriffen, dass man ihn akzeptieren muss, dass man mit Gevatter Hein reden sollte, sich am Gartenzaun mit ihm unterhalten, und hoffen, dass er weitergeht. Man kennt sich ja jetzt schon, und er muss einen nicht unbedingt vor der Zeit abholen.

Hatten Sie Startschwierigkeiten, als Sie nach Venedig zogen?

Es war schon ein richtiger Schritt, das gemacht zu haben, denn bevor man zu alt wird, sollte man das Leben noch mal anpacken und etwas Neues anfangen. Aber das erste Jahr war die Hölle. Ich sprach kein Wort Italienisch. Und in Italien ist alles anders organisiert als in Deutschland. Man kann alles Geld der Welt haben, aber wenn die Gastherme streikt und man denkt, da käme jemand, um sie zu reparieren, weil man den ja bestellt hat - so hat man sich in den Finger geschnitten. Solange man nicht jemanden kennt, der jemanden kennt, der einen kennt kein Klempner!

Aber die müssen doch auch Geld verdienen?

Ich habe noch nie so lange auf Rechnungen warten müssen wie in Italien. In einem Fall bin ich nach über einem Jahr zu einem Geschäft hingegangen, um zu gucken, ob die vielleicht pleitegemacht haben. Da fiel es denen dann wieder ein, dass sie mein Badezimmer renoviert hatten, und so habe ich endlich zahlen dürfen Es ist irgendwie, als wenn Geld dort nicht so wichtig oder das Verhältnis dazu anders wäre. In Italien herrscht eine Art Vetternwirtschaft; es ist korrupt, würden wir sagen, aber die Art der gesellschaftlichen Organisation funktioniert eben auch. Und ich liebe diese Menschen, weil sie ein wundervolles Talent zum Leben haben. Ein venezianischer Polizist zum Beispiel ist in erster Linie nicht Polizist, weil er Recht und Gesetz schützen will, sondern weil er gern Motorboot fährt und eine Sonnenbrille trägt. Es hat oft etwas Kindliches und Verspieltes.

Worüber können Sie lachen?

Ich liebe englischen Humor und John Cleese. Ich liebe diese Art, schlimmsten Blödsinn zu treiben, ohne sich auf eine Pointe zu setzen. Ich mag es nicht, wenn mit dem Zaunpfahl gewunken wird: "Achtung! Gleich kommt der Witz!" Deutschen Comedy-Humor finde ich sehr anstrengend. Ich liebe die Engländer für ihre entspannte Unverschämtheit. Und auch die Russen haben einen tollen Humor. Gontscharow, Gogol, Daniil Charms sind ganz großartig. Aber auch andere russische Autoren, die man kaum kennt. Leonid Leonow: "Aus den Aufzeichnungen eines Kleinstädters". Das hoffnungslos traurige, langweilige Leben in den Weiten Russlands, das er beschreibt, und ein seltsamer, trauriger Humor, damit umzugehen - das mag ich gern. Er schreibt über nichts. Er ist der selbsternannte Geschichtenschreiber eines kleinen Kaffs am Rande der sibirischen Steppe, in dem absolut nichts passiert. Aus jedem noch so unbedeutenden Vorgang macht er einen weltgeschichtlichen Vorgang und beschreibt ihn mit einer Hingabe und Liebe, dass man schallend lacht. Zum Beispiel "Wie die Kutsche des Bischofs XY einmal an unserer Stadt vorbeifuhr".

Haben Sie noch unerfüllte Träume?

Ja. Ich möchte zwei Esel und einen Uhu haben. Ich liebe Esel und Eulen, ich weiß nicht, warum, aber ich finde sie toll.

Kann man Uhus denn kaufen?

Ja, kann man, aber man muss eingewiesen werden. Einen Uhu zu halten, das ist eine Lebensaufgabe. Außerdem fressen die schrecklich viel. So einen Vogel muss man täglich mit sieben Ratten und fünfzehn Küken füttern. Und wo soll man die jeden Tag bloß hernehmen? Tiefgefroren? Vielleicht doch lieber einen Waldkauz.

INTERVIEW CORINNA STEGEMANN

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