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■ Schattenstreifen in der SonnenstadtSerie: Die neuen Quartiere (achte Folge): Das neue Französisch Buchholz mit seinen 4.000 Wohnungen verweigert sich einer Fusion mit dem alten Ortskern / Nebeneinander gerät zum schreienden Widerspruch

Schattenstreifen in der Sonnenstadt

Buchholz ist viele Orte. Das ehemals märkische Dorf im nördlichen Berliner Bezirk Pankow wandelt sein Gesicht schon beim Wechsel von einer zur gegenüberliegenden Straßenseite. Der Dorfkern, entlang der Hauptstraße, variiert seine Formen und Funktionen. Um den in nordsüdlicher Richtung angelegten Anger mit Kirchplatz reihen sich die typischen bäuerlichen Einzelbauten mit Vorderhaus, Remise und Garten im Wechsel mit mehrgeschossigen Bauten aus der Gründerzeit und einigen Plattenablegern des „komplexen Wohnungsbaus“.

Die baulichen Schichten der Vor- und Nachkriegszeit konkurrieren mit unbebauten Parzellen, auf denen heute Autohändler residieren. „Buchholz ist Berlins größte Automeile“, meint Pankows Baustadträtin Claudia Nier. „Entlang der Hauptstraße glaubt man, sich weniger in einer Vorstadt als in einem Autosalon mit Durchfahrtsstraße zu befinden.“

Den Übergang zwischen dem alten Dorfkern und der landschaftlichen Peripherie in westlicher Richtung kennzeichnen merkwürdig schmale, schnurgerade Grünstreifen, die jenseits des Rosenthaler Wegs nach Norden abknicken. Zwischen den grünen Flächen liegen – auf ebenso engen Bändern – Parzellen mit Kleingärten, Lauben und Häuschen: die sogenannten „Datschenstreifen“. Beiderseits des Rosenthaler Wegs sowie im Norden der Triftstraße weiten sich die grünen Linien zu großen langrechteckigen Arealen, die nur vereinzelt bebaut sind.

Das dreieckige „Streifengelände“ zwischen Triftstraße/Rosenthaler Weg sowie dem Krugpfuhl schiebt sich mit seiner Spitze bis nahe an den Buchholzer Dorfkern heran. Seine Struktur indessen hat nichts gemein mit der märkischen Ansiedlung. Vielmehr rühren die langen Geraden aus Wohn- und Wiesenbändern her von den frühen hugenottischen Gärtnereien, die Mitte des 18. Jahrhunderts hier angesiedelt wurden und als Französisch Buchholz ein einprägsames Muster im Stadtgrundriß hinterließen. „Die Flächen am südlichen und westlichen Rand von Buchholz bilden drei große Sektoren, deren Spitzen an der Gelenkstelle, der Kreuzung Rosenthaler Weg/Triftstraße, aufeinandertreffen und dort eine Anknüpfung, ein Scharnier zum Dorf darstellen“, beschreibt Claudia Nier. „Sonst erscheint Französisch Buchholz von Alt-Buchholz eher abgehängt.“

Die Bauvorhaben auf den grünen Streifen westlich von Alt- Buchholz, auf denen ab 1995/96 Wohnbauflächen für 3.500 bis 4.000 neue Wohnungen, Kindertagesstätten und Geschäfte geplant werden sollen, bleiben auf Distanz zum Dorfkern. Bis auf das „Scharnier“ nähert sich der Rahmenplan des neuen Quartiers dem Alten kaum an. Die Grundfigur der neuen Siedlung auf dem 150 Hektar großen Gelände orientiert sich an den abgewinkelten Linien, die vom Dorfkern wegführen. „Das städtebauliche Konzept für den neuen Stadtteil Buchholz“, so die Berliner Architekten Zillich & Engel über ihren Rahmenplan, „zeichnet sich durch eine stringente Grundstruktur aus.“

Die linearen Flächen „füllen“ Zillich & Engel größtenteils mit Zeilen in offener und geschlossener Bauweise. Das hohe Maß an unterschiedlichen Wohnformen in der offenen Bauweise soll die Integration der kleinteiligen Laubenbebauung gewährleisten. Die Parallelstruktur der „Sonnenstadt“ (Klaus Zillich) orientiert sich nach Süden. Harte Kanten trennen die Stadtgestalt an den Hauptstraßen und zum Naturraum Blankenfelde ab. Die Dreiecke teilen Zillich & Engel durch ein breites Grünband voneinander ab. Der umgebende Naturraum greift in ihrem Plan mäanderartig in das neue Stadtquartier hinein und verwebt die Gebäude mit der Landschaft. Der Rosenthaler Weg als alte Verbindung soll ebenso wie die Triftstraße für eine Straßenbahnlinie auf 33 Meter ausgebaut werden. Den Übergang zwischen dem alten Ortskern und dem neuen Quartier wird durch den neuen „Rosenthaler Platz“ an der Dreieckspitze hergestellt. Er soll das Zentrum mit Infrastruktureinrichtungen, Läden und Büros werden. Ihn begrenzt der Friedhof, der in die neue Parallelstruktur integriert wird. Am Kreuzungspunkt Blankenfelder Straße/Rosenthaler Weg sowie am nördlichen Ende der Triftstraße markieren weitere dreieckige Plätze Schwerpunkte des Quartiers.

„Die Strenge der auffälligen Parallelstruktur unserer Baukörper“, so die Architekten, „nimmt die historische Parzellenform aus der hugenottischen Gärtnertradition als topographisches und geschichtliches Element auf.“ Die Identität und Orientierung sollen die neuen Quartiere demnach weniger durch die Anbindung an das Dorf und dessen Haupt- und Nebenstraßen erhalten, sondern aus der Interpretation und „Überhöhung“ (Klaus Zillich) der vorgefundenen landschaftlichen und historischen Faktoren.

Es ist bemerkenswert, daß Französisch Buchholz, ähnlich wie das Bauvorhaben Gartenstadt Falkenberg, keine Fusion mit den existierenden Stadtvierteln eingeht. Vielmehr suchen die neuen Quartiere eine nicht unerhebliche städtebauliche und räumliche Distanz zum Alten, um ihren unabhängigen Charakter zu betonen. Der alte Dorfkern wird auf eigene Entwicklungslinien hin befragt: „Die heterogene Struktur des Dorfes Buchholz“, betont Claudia Nier, „hoffen wir mit Lückenschließungen, Erneuerungen und Verdichtungen des Bestandes zu überwinden. Das Dorf soll durch einen grünen Gürtel von der neuen Siedlung getrennt bleiben.“

Die eigenständige urbane und räumliche Entwicklung neuer Vorstädte neben typischen Angerdörfern hat in Berlin Tradition: So vollzog sich beispielweise die Entwicklung von Alt-Wilmersdorf zwischen 1870 und 1910 auf der Grundlage des städtebaulichen Masterplans von Castenn, der dem alten Stadtgrundriß mit einem völlig neuen begegnete. Auf den ersten Blick trifft sich der Anspruch des neuen Französisch Buchholz mit dem „Leitbild Vorstadt“ von Hans Stimmann, der nicht Anbiederungen an bestehende Dorfkerne wünscht, sondern ein städtebauliches Bild „mit eigener inhaltlicher Identität“ und mit einem Gestaltungskanon aus Häusern, Gärten, Straßen und Plätzen fordert.

Problematisch jedoch erscheint das Gesamtkonzept von Zillich & Engel, weniger in bezug auf das Dorf und die großen Freiflächen als in seinem Verhältnis zu den bestehenden Siedlungsstrukturen: die benachbarten engen „Laubenstreifen“, zwischen die sich die Neubauzeilen wie Riegel schieben. Die Dominanz der vier- bis sechsgeschossigen Gebäude wird die Laubenstreifen wie Vorgärten und die Lauben selbst wie Gartenhäuschen erscheinen lassen. Die geplante Dichte und Höhe hält auch Claudia Nier für unmaßstäblich: „Es besteht die Gefahr, daß bei einer übermäßigen Höhe oder Länge der Zeilen diese wie fliegende Untertassen, die gelandet sind, aussehen. Im jetzigen Rahmenplan kollidieren die bestehenden und neuen Strukturen noch miteinander.“ Auf den Bestand müsse mehr Rücksicht genommen werden. Höhenvorstellungen der Investoren von etwa sechs und mehr Geschossen gelte es zu korrigieren.

So gesehen erweist sich die „Überhöhung“ vorhandener Strukturen als Verhängnis. Die Verlängerung der Blockkanten vom Rosenthaler Weg und der Triftstraße in die Tiefe der grünen Streifen sowie die Öffnung der Bauweise zur Miteinbeziehung der Laubenpiepereien bleibt ein schematischer Akt, in dem wenig zueinander passen will. Das Nebeneinander von Alt und Neu – zwischen Dorf und neuem Quartier durch die Distanz in der Balance gehalten – gerät so zum schreienden Widerspruch. Mit einer weniger dichten und hohen Planung und der Orientierung an den Maßstäblichkeiten der klassischen Moderne, wie beispielsweise Bruno Tauts dreigeschossiger „Hufeisensiedlung“ in Britz, stellte sich möglicherweise eher ein Verhältnis zu den Laubenstreifen und Naturräumen her. Sind die Laubenpiepereien nicht wegzukriegen, muß man mit ihnen und nicht gegen sie bauen. Sonst besteht auch hier die Gefahr, daß Buchholz bleibt, wie es ist: viele Orte, die wenig miteinander gemein haben.

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