Schach: Go Gata go!
Der Exilrusse Kamsky, Sohn eines Preisboxers, mausert sich nach Studien der Medizin und Jurisprudenz wieder zum großen Schachspieler.
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BERLIN taz "Brett in Flammen", so lauten die Titel der beiden Autobiografien von Alexej Schirow in Anlehnung an den englischen Warnruf "Fire on board". Beim Weltcup hat Schirow, der auch der "Hexer von Riga" genannt wird, wieder ein wenig gezündelt. Erst im Endspiel stoppte ihn ein Großmeister der Denkbranche: Gata Kamsky. Der New Yorker setzte sich nach drei Remis und einem Erfolg in der zweiten Partie gegen den Wahlspanier Schirow durch und kassierte dafür 120.000 Dollar. Noch wichtiger aber: Kamsky trägt nun einen Zweikampf gegen den Bulgaren Wesselin Topalow aus. Der Sieger fordert den nächsten Weltmeister heraus.
Kamskys Leistung im sibirischen Chanti-Mansijsk ist nicht nur deswegen bemerkenswert, weil der Amerikaner in sieben Runden keine einzige seiner 18 Partien verlor. Der 33-Jährige krönt mit Platz eins unter 128 Teilnehmern sein erstaunliches Comeback: Der gebürtige Tatare hatte 1996 nach der Niederlage im WM-Kampf gegen Anatoli Karpow (Russland) seine schillernde Karriere für beendet erklärt. Sein streitbarer Vater Rustam Kamsky, der als Preisboxer stets über schlagende Argumente verfügte, hatte plötzlich ein Medizinstudium für einträglicher gehalten. Zunächst tat der Junge mit der dicken Hornbrille, was ihn der nach der Scheidung Alleinerziehende hieß. Schließlich hatte ihn Rustam Kamsky auch aus der Sowjetunion gelotst, weil Klein Gata angeblich auf dem Weg zum Weltmeistertitel in der UdSSR behindert wurde. Kamskys Flucht 1989 nach einem Turnier in New York sorgte weltweit für Aufsehen.
Gata machte Rustam Kamsky mittlerweile nicht nur zum Opa, sondern emanzipierte sich auch vom Willen des Vaters: Nach dem erfolgreichen Wechsel ins Jurafach kehrte der ehemalige Vizeweltmeister nach acht Jahren Ende 2004 auf die große Bühne des königlichen Spiels zurück. Seitdem findet der inzwischen so fröhlich wirkende Kamsky mehr und mehr zu alter Klasse zurück. Sein Eröffnungsrepertoire ist zwar weiterhin altbacken, aber in nachteiligen Stellungen beweist der Weltranglisten-Siebzehnte erstaunliche Defensivqualitäten.
Das bekam im Weltcup-Halbfinale einer der jungen Wilden zu spüren. Die beiden 17-jährigen Magnus Carlsen und Sergej Karjakin zogen gegen die gesetzteren, doppelt so alten Herren den Kürzeren. Der Ukrainer Karjakin, der mit zwölf Jahren und sieben Monaten jüngster Großmeister aller Zeiten geworden war, unterlag Schirow (35) in der Verlängerung mit 1,5:2,5. Gata Kamsky schickte den nicht minder talentierten Carlsen mit 1,5:0,5 nach Hause. Dort kann der Norweger mal wieder den Unterricht im örtlichen Gymnasium besuchen.
Gata zeigte mit sechs Jahren bereits außerordentliche Begabungen, spielte Klavier und wurde sogleich in die dritte Klasse eingeschult. Mit acht lernte das Wunderkind Schach und gewann mit 13 und 14 die UdSSR-Meisterschaft der bis zu 20-Jährigen. Eine Sensation, die Kamsky den Ruf des kommenden Weltmeisters einbrachte. Nach zwei knapp gescheiterten Versuchen in den Neunzigerjahren unternimmt der Großmeister aus dem Brooklyner Stadtteil Brighton Beach jetzt einen weiteren Anlauf auf den Titel.
Im neuen Jahr ermittelt er mit Topalow den Herausforderer des neuen Weltmeisters. Der amtierende Champion Viswanathan Anand (Indien) tritt zunächst zur Revanche gegen seinen Vorgänger Wladimir Kramnik (Russland) an. Als Austragungsort für die WM, die wohl erst 2009 stattfinden wird, favorisieren die beiden Führenden in der Weltrangliste Deutschland. Kamsky muss sich nach seinem glanzvollen Comeback weiter steigern, will er die drei Platzhirsche verdrängen. Der 33-Jährige hat besonders gegen Topalow einen schweren Stand. Der Angriffsspieler schlug Kamsky in den vergangenen drei Duellen vernichtend. Topalow sollte jedoch damit rechnen, dass sein Lieblingsgegner von Monat zu Monat stärker wird.
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