Sauberes Italien: Berlusconi räumt auf
Die Rechtsregierung Italiens beginnt ihre Arbeit. Schnellstmöglich gelöst werden müssen die Probleme mit Müll, Ausländern und Steuern.
ROM taz Im Wahlkampf hatte er es versprochen: Die erste Kabinettssitzung nach dem Sieg wird in Neapel stattfinden, und so lange wird die Regierung dort zusammentreten, bis der Müllnotstand besiegt ist.
Jetzt kommt Berlusconi: Morgen versammelt er seine Minister im Schatten des Vesuvs. Morgen nimmt seine Rechtsregierung die Arbeit auf. Morgen soll das Großreinemachen beginnen, nicht bloß an der Abfallfront. "Notstand" herrscht, wenn man Silvio und seiner Truppe glauben darf, auch auf anderen Feldern. Beim "Ausländerproblem", bei der "Rumänen-Invasion", beim "Roma-Notstand". Die equestione sicurezza, die "Sicherheitsfrage", hat der italienischen Rechten den Wahlsieg eingetragen, und jetzt will sich Berlusconi erkenntlich zeigen. Gleich bei der ersten Kabinettssitzung auch auf einem weiteren Feld, das wahlentscheidend war: bei den Steuern. Nie werde er "die Hände in die Taschen der Bürger stecken", hatte Berlusconi auf seinen Kundgebungen versprochen. Müll, Ausländer, Steuern - morgen soll aufgeräumt werden.
Zuerst im Mai 2007, dann zur Jahreswende, und jetzt schon wieder: Zum dritten Mal binnen Jahresfrist ist in Neapel, ist in der ganzen Region Kampanien das Müllchaos ausgebrochen. Müllnotstand herrscht aber schon seit 14 Jahren; ein Müll-Sonderkommissar nach dem anderen versuchte sich daran, der Region einen geschlossenen Entsorgungskreislauf zu bescheren. Doch außer dem Wegkippen des Mülls auf Deponien blieben andere Lösungen auf dem Papier, und kaum ist eine Deponie voll, bricht erneut der Notstand aus. Die Eröffnung neuer Müllkippen und die Errichtung von Verbrennungsanlagen scheiterten immer wieder an Protesten der misstrauischen Bevölkerung; schließlich entsorgt in Kampanien die Camorra seit Jahren Giftmüll aus ganz Italien. Jetzt reagierte die EU-Kommission auf das Mülldesaster: Sie verklagte die Region Kampanien vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, da das von der EU vorgeschriebene Konzept für den Entsorgungskreislauf weiterhin fehle.
Dass der Müllnotstand höchst real ist, wird den Ministern schon auf der Anfahrt zur Kabinettssitzung deutlich werden. In den letzten Tagen schien es, als wolle sich Neapel eigens für Berlusconis Notstandsvisite herausputzen: Berge von Abfalltüten türmen sich dort wieder meterhoch auf, ein infernalischer Gestank liegt über der Stadt. Aufgebrachte Bürger kippen den Inhalt ganzer Müllcontainer auf Straßen und Eisenbahngleise, nachts lodern Dutzende Feuer: von Bürgern angezündete Müllberge. Allein im Stadtgebiet haben sich 5.000 Tonnen Unrat auf den Straßen angesammelt, in der gesamten Region sind es etwa 50.000 Tonnen.
"Wenn wir das Problem nicht schnellstens in den Griff bekommen, wird uns die Schuld zugeschrieben werden. Genauer gesagt, mir allein", soll Berlusconi laut der Tageszeitung La Repubblica seinen Mitarbeitern eingetrichtert haben.
Zehn neue Abfalldeponien sollen schnelle Linderung bringen. Wie vor vier Monaten sein Vorgänger Romano Prodi will auch Berlusconi jetzt wieder die Armee ausrücken lassen, um die Abfallberge wegzuräumen, in Zwischenlager oder gleich in Züge, die wieder zu deutschen Müllverbrennungsanlagen hinrollen sollen. Im zweiten Schritt dann sollen die Genehmigungsverfahren für neue Verbrennungsanlagen deutlich vereinfacht werden. Wie aber die Regierung dem lokalen Widerstand beikommen will, der die Eröffnung neuer Deponien immer wieder verhindert hat, bleibt unklar. Die einzige Idee, die bekannt wurde, stammt vom Verteidigungsminister, dem Postfaschisten Ignazio La Russa: Das Heer könne ja auch die Müllkippen bewachen.
Die wahre emergenza ist eine ganz andere, wenn man der italienischen Rechten unter Berlusconi glauben darf: die emergenza sicurezza. 3,7 Millionen Ausländer leben legal in Italien, unter ihnen wohl 600.000 Rumänen, dazu kommen einige hunderttausend "Illegale". In den Haushalten sind sie nicht mehr wegzudenken: Mehr als eine Million Frauen aus Osteuropa, von den Philippinen, aus Eritrea oder Ecuador pflegen alte Menschen, putzen Badezimmer, betreuen Kinder. Italiens Familien befänden sich ohne sie in einer extremen Notstandssituation.
Hochgefährliche Subjekte
Davon aber redet die Regierung nicht: Nicht nur die fremdenfeindliche Lega Nord, die mit Roberto Maroni jetzt den Innenminister stellt, beschwört stattdessen eine angebliche "Invasion" hochgefährlicher Subjekte. Ausgerechnet Neapel lieferte auch auf diesem Feld das Anschauungsmaterial zur behaupteten Krise. Vor zehn Tagen versuchte eine 16-jährige Romni hier angeblich, ein Baby aus einer Wohnung zu entführen. Daraufhin zündeten mehrere hundert hasserfüllte Bürger fünf Roma-Lager an und vertrieben die Insassen. Aus Rom kam Verständnis: Umberto Bossi, Chef der Lega Nord und Minister für Verfassungsreformen, solidarisierte sich mit den Brandstiftern, die nun mal "die Faxen dicke gehabt" hätten.
"Nie mehr", verkündet sein Parteifreund Maroni forsch, werde es nachträgliche Legalisierungsmaßnahmen für illegal im Land lebende Migranten geben. "Raus" ist die einzige Option, die den Klandestinen bleibt. Unschlüssig ist die Regierung noch, ob sie gleich den Tatbestand "illegale Einwanderung" ins Strafgesetzbuch schreiben soll; als Alternative wird erwogen, den illegalen Aufenthaltsstatus als strafverschärfend in Anschlag zu bringen, wenn ein Ausländer ein Verbrechen verübt. Als ausgemacht gilt dagegen schon, dass Ausländer statt bisher maximal 60 künftig bis zu 180 Tage in Abschiebelagern weggesperrt werden können.
Rechte braucht Ausländer
Dumm an diesen Maßnahmen ist jedoch, dass sie die Rumänen und damit auch zahlreiche Roma, die in Elendsbaracken an den Stadträndern hausen, gar nicht treffen - die nämlich sind EU-Bürger. Doch auch bei ihnen sollen die Daumenschrauben angezogen werden. In Zukunft sollen sie verpflichtet werden, sich bei der Einreise registrieren zu lassen, damit der italienische Staat darüber Buch führen kann, ob sie sich auch an die Dreimonatsfrist halten, innerhalb deren EU-Bürger sich generell in einem anderen Mitgliedsstaat aufhalten dürfen. Wer länger bleiben will, soll künftig den Nachweis über ein ausreichendes Einkommen und über Krankenversicherung führen. Anderenfalls: ab zur Grenze.
Dumm an der geplanten Repressionswelle ist zudem, dass Italiens Rechte gern die Ausländer ein wenig drangsalieren möchte - dass aber auch in den Haushalten der rechten Wählerschaft hunderttausende dienstbare Geister aus der Ukraine oder aus Rumänien gebrechlichen alten Italienern den Hintern abputzen. Was machen wir mit den illegal im Land lebenden "Badanti", den Pflege- und Betreuungskräften? Diese Frage wird auf der Kabinettssitzung obenan stehen. Im Dezember 2007 konnten Ausländer wieder einmal den Antrag zur Einreise nach der italienischen Quotenregelung stellen. 170.000 Einreisebewilligungen wollte die Regierung Prodi erteilen, 720.000 Anträge gingen jedoch ein. Gestellt wurden sie von Menschen, die längst schon in Italien leben und arbeiten. Allein die "Badanti" machten 400.000 Antragstellerinnen aus, bloß 70.000 aber können auf einen positiven Bescheid hoffen.
Kein Problem, meint Innenminister Maroni, er wisse schließlich zu unterscheiden "zwischen dem, der nach Italien kommt und dann eine Frau vergewaltigt oder eine Villa ausraubt, und demjenigen, der kommt, um eine gesellschaftlich wichtige Aufgabe zu übernehmen". Statt nachträglicher Legalisierung gibt es jetzt womöglich eine "Regularisierung" für Badanti. Die postfaschistische Alleanza Nazionale sperrt sich noch gegen diese Sonderregelung. Stattdessen fallen die Rechtsausleger der Koalition durch fantasievolle Vorschläge an der Verbrechensfront auf. Verteidigungsminister La Russa meint, genauso wie an der Müllfront könne doch auch an der Verbrechens- und Ausländerfront das Heer zum Einsatz kommen. Er wünscht sich "Großstreifen" in Italiens Städten, in denen jeweils fünf Leute auf Patrouille gehen: ein Polizist, ein Carabiniere, ein Stadtpolizist, ein Finanzpolizist und ein Soldat. Die bunte Uniformvielfalt werde den Bürgern ganz von selbst "das Gefühl von Sicherheit" zurückgeben.
Einigkeit bei Steuern
Margherita Boniver, Politikerin aus dem Berlusconi-Lager, will das Müll- und das Ausländerproblem gar auf einen Schlag lösen. Man könne doch illegale Immigranten zum Abfallräumen einsetzen, meint sie - und den Illegalen dann später als Dankeschön die Aufenthaltserlaubnis erteilen. Dieser Vorschlag allerdings hat geringe Chancen; selbst die gewiss nicht pingelige Lega Nord fand ihn "rassistisch".
Einigkeit im Kabinett wird in einem Punkte herrschen: bei den Steuern. 4 Milliarden will Italiens Rechte verteilen, der dickste Batzen entfällt mit 3 Milliarden auf die Streichung der kommunalen Grundsteuer; immerhin 80 Prozent der Italiener leben im Eigenheim und zahlten bisher diese Steuer. Die war schon von Prodi drastisch zusammengestrichen worden - knapp die Hälfte der bisherigen Zahler wäre in Zukunft sowieso von der Steuer befreit worden. Jetzt will Italiens Rechte auch die reichere Hälfte der Bevölkerung freistellen. Auch so geht Umverteilung - ohne dass es die ärmere Hälfte groß merkt: Allen nämlich werden die TV-Sender eintrichtern, Berlusconi habe "die Grundsteuer für alle gestrichen".
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