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SanssouciVorschlag

■ Alles richtig falsch gemacht - Ulli Lohr im Unart

Es gibt Leute, die haben „die Umstände nicht auf ihrer Seite, und die Gegenstände sind gegen sie“. Ulli Lohr ist so einer. Er weiß es, und er singt es auch. Er steht auf der Bühne im Unart in der Oranienstraße und gibt in seinem Programm „Un-happy Hour“ einen Einblick in sein von Desastern geplagtes Leben. Am falschen Ort hat er die falschen Dinge richtig angefaßt und am richtigen alles falsch gemacht. Zum Trost hat Ulli Lohr ein freundschaftliches Verhältnis zu aller Unbill. „Ich fühle mich schlecht, und ich sehe so gut aus“, „wir lieben uns sehr, aber imaginär“. Egal ob er den Blues singt oder ob er erzählt – immer bleibt das Gefühl, daß etwas nicht stimmt. Seine Hände passen nicht zu seinem Körper, sein Gesicht nicht zu seinem Mund, seine Bewegungen nicht zu seiner Schuhgröße. Als Desperado fleischgewordener Collagetechnik wird jedes von ihm aufgesagte Gedicht, in dem Ungeschick Trumpf und Mißgeschick chic ist, zu einem persönlichen Kleinod. „Es ist so unrund, das gibt ihm seinen Charme“, sagt sein Bassist Uli Elsässer, der in der Show die Rolle eines Pferdes spielt, „immer ist er auf dem großen Sprung und landet doch nur wieder in der Küche.“ Mitfühlen ist erlaubt, Wortwitz tut ein Übriges, denn wer welchen Kater hat, ist eine Frage der Semantik, nicht des Wohlbefindens. Für die Frage, welcher Verfolgte floh oder welcher verfolgte Floh gefangen wurde, gilt das ebenfalls.

Als neuer Star am schwulen Sternenhimmel ist Ulli Lohr vor allem eines nicht: eine Diva. Keine neue Georgette Dee, kein neuer Tim Fischer. Das Große wurde ihm als Zungenbrecher schon in die Wiege gelegt, kommt er doch aus Großenenglis, und das ist ein Dorf, in dem es immerhin einen Jedermann-Sportverein gibt, in den auch Frauen, und einen Landfrauenverein, in den auch Mänenr gehen dürfen. Er selbst war im Posaunenchor, aber nur zwei Monate, weil er dann eine Zahnlücke hatte. Alles ist schräg, verschoben, aus dem Lot. Da hat es nur noch ein bißchen der Inspiration und der freundlichen Assistenz von Herrn Ringelnatz, Heinz Erhardt und dem Poeten Friedhelm Kändler bedurft, um den Jungen aus dem kurhessischen Bergland als Geniestreich auf die Bühne zu katapultieren. Es gibt nichts Tröstlicheres, als sich am unbesiegbaren Optimismus anderer Pechvögel zu laben. Waltraud Schwab

Bis 17. 3., 21 Uhr, im Unart, Oranienstraße 163

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