Sanssouci: Vorschlag
■ Walkabouts im Loft
Vor vier Jahren veröffentlichte das SubPop-Label eine Platte, mit der zu diesem Zeitpunkt niemand gerechnet hatte: „Cataract“ von den Walkabouts, ein geradezu wohlklingendes Folk- Rock-Album! Und das aus Seattle, der Stadt, die uns Nirvana und den „Grunge“ bescherte, einen Sound, der 1989 schon anfing zu langweilen und im Begriff war, feinsten Staub anzusetzen. Damals allerdings wirkten die Walkabouts noch wie Wesen von einem anderen Stern, Exoten, die sich in Stadt und Label geirrt hatten und aus lauter Verlegenheit als „sensitive hippies with big amplifieres“ vermarktet wurden (ein Image, das den Walkabouts nur schlecht gerecht wird — und das sie dennoch nur schwer abstreifen konnten). Mittlerweile haben sich die Zeiten geändert: aus SubPop, dem Label für Grunge-Rock schlechthin, ist eine ziemlich große Plattenfirma geworden, die für jeden Stil und jede musikalische Richtung ihren „Strang“ bereithält. Grunge ist ein überdimensioniertes Medienereignis, das sich musikalisch in leeren Emotionshülsen von Pearl Jam oder in Pomp und Bombast von Alice In Chains erschöpft hat.
Die einzige Möglichkeit, noch das gitarröse Anderssein zu pflegen, so scheint es, liegt im Folk mit seinen verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten. So befinden sich die Walkabouts genau am richtigen Ort, einem Ort, den sie allerdings selber schon seit zehn Jahren mitbestimmen. Und der sie von ihren ersten Gehversuchen, „22 Desasters“ betitelt (eine EP, die heute nicht mehr zu erhalten ist und die die Band auch nicht gedenkt, wieder zu veröffentlichen!), über ihr SubPop-Debüt „Cataract“ und die Folk-Pop-Lautmalerei „Scanvenger“, bis zu ihrem gerade jetzt herausgekommenen Album „New West Motel“ führte. Ein Werk, das man beinahe laut und bratzig nennen kann, mit 17 Songs vollgestopft, aus dem aber trotz dieser energischen Vorgaben ein Haufen von Melodien herausragt — und außerdem noch das stimmliche Wechselspiel von Carla Togerson und Chris Eckman, beide zusammen als Bandmittelpunkt zu bezeichnen. Mehr im Hintergrund stehen dieses Mal die Folk-Tunes, obwohl Townes Van Zandt, Neil Youngs „Like A Hurricane“ und auch ein Traditional wieder in typisch walkaboutiger Form zu Ehren kommen. Die Geschichten, die die Walkabouts auf „New West Motel“ erzählen, sind ganz subjektive Eingebungen, Tagträume und Alltagsschnipsel, die aber immer einen allgemeingültigen Teil der Wahrheit für sich in Anspruch nehmen wollen (und das auch können). So ziert nicht ganz zufällig ein in der US-amerikanischen Flagge gekleideter Mann das Cover ihrer „Jack Candy“- Single, der mit einer Schlinge in der linken Hand auf die Uhr schaut und die Zeit zählt, die – wem auch immer! – noch bleibt. Das ist durchaus als Fingerzeig an ihr Publikum gemeint, das nebenher noch, abseits aller MTV-Pfade, einer Musik frönen darf, für die Tradition mehr als nur Blaupause ist. Vor ein paar Wochen waren Chris und Carla schon im Swing, und zwar ganz akustisch „without amplifieres“. Heute sind sie mit Band in der Speed-Folk-Variante zu hören und zu sehen. Gerrit Bartels
Morgen, 20.30 Uhr, Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
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