Sanssouci: Vorschlag
■ Hooligan statt Hotzenplotz in der Möwe
Es ist nichts, das leicht den Gaumen kitzelt oder gar auf der Zunge zergeht. Auch die Kehle fließt es nicht wohlig hinunter. Der Kloß im Hals ist zu groß, sein Geschmack zu bitter. Das Publikum? Es hat schwer an ihm zu schlucken und zu würgen. Denn das Figurentheater Kobalt zeigt nicht Ottfried Preußler und seinen Räuber Hotzenplotz, sondern Witold Gombrowicz, einen polnischen Dichter, der 1933 nach Argentinien ins Exil ging und als scharfer Provokateur bekannt wurde. Als Grundlage diente dem Figurentheater die Erzählung »Die Ratte« (1948).
Nicht Räuber Hotzenplotz treibt also Schabernack im Walde, sondern Hooligan, der all jene plündert und mordet, die sich zu weit in seine Nähe trauen. Fast lebensgroß und mit Schaumgummi gefüllt, säuft und schläft die Räuber-Puppe mit seiner Liebsten, daß es jeder sehen kann. Gombrowicz und, mit ihm das Kobalt-Theater, erklären hier der Lüge von den moralischen Idealen den Krieg und setzen ihr den rigorosen Egoismus des Räubers und seine anarchische Unwissenheit entgegen. Sie sind Symbole für innere Freiheit und Lebendigkeit. Ihr größter Feind ist die Beengtheit jener, die den rauhen Lärm und die Wildheit des »Räubers« nicht ertragen können und ihnen ihre eigene Enge und Begrenztheit aufzwingen wollen.
Zwischen den Puppen kommt es zum Zweikampf. »Das ist doch unmenschlich«, empört sich der Richter, eine winzige Stabpuppe mit weißer Gesichtsmaske, und meint damit den Räuber. Der feige Amtsrichter Skorabkowski lockt Hooligan in eine Falle und quält ihn auf grausamste Weise. Der Richter steht hier nicht nur für das Hitler-Regime, sondern für alle totalitären Massengesellschaften. Die Achilles-Sehne des Räubers wird gefunden: es ist eine Ratte, altes Bild für Ekel und Tod. Am Ende stirbt der Richter in seinem triumphierenden Taumel, und der Räuber kann sich befreien. Aber seine schützende Unwissenheit hat er in diesen zwei Stunden verloren.
Das Figurentheater eignet sich gut für Gombrowiczs clowneske und gleichzeitig bitterböse Satire. Die Reduzierung auf wenige Symbolfiguren bietet sich geradezu an. Der Einfall, dem Räuber und seiner Marie einen vollständigen Körper zu geben, ist ein überzeugendes stilistisches Mittel, um ihre Lebendigkeit auszudrücken. Ein großer Nachteil bleibt allerdings: die Puppen müssen von schwarz gekleideten Schauspielern sichtbar bewegt werden, so daß das Illusionäre des Puppentheaters verlorengeht. Auch das Spielerische kommt etwas zu kurz: Mit dem Publikum wird nicht wirklich Schabernack getrieben. Die Ernsthaftigkeit der beiden Kobalt-Frauen Kristiane Balsevicius und Silke Technau dominiert zu sehr. Dabei würde ein wenig Zucker genügen, und wir könnten um so genüßlicher am Kloß Gombrowicz ersticken. Nathalie Wozniak
»Der Räuber der Richter die Ratte« heute und morgen, jeweils 21 Uhr, in der Möwe, Luisenstraße 18.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen