piwik no script img

SanssouciVorschlag

■ „Aus heiterem Himmel“

Fünf Personen, fünf Lebensgeschichten. Fünf Wege, die sich kreuzen oder eben auch nicht — wie im richtigen Leben. Da gibt es Chäschpu, den verhuschten Fotografen, Tina, die immer wieder von zu Hause fortläuft, Lucie, die schlafwandelnde Krankenschwester, und Özgür, den heimwehkranken türkischen Gastarbeiter. Diese fünf leben ihr Leben und kommen dann in Berührung mit anderen. Sie laufen auf der Straße aneinander vorbei, stehen sich im Fahrstuhl gegenüber, liegen im Freibad in der Nähe, stolpern über die Tasche des anderen oder ziehen sich eine Eisenstange über den Schädel. Die Begegnungen können anonym sein oder sehr bewußt, zufällig oder gesucht, ohne Folgen oder tiefe Kreise ziehen. Man könnte es auch Schicksal nennen, wenn dieses Wort nicht so pathetisch wäre, wenn dieses Wort nicht so an „großes Kino“ erinnern würde. „Aus heiterem Himmel“ ist weniger Schicksal als vielmehr das richtige Leben — genauso langweilig, genauso aufregend.

Felix Tissi und Dieter Fahrer haben versucht, in Bern eine Komödie zu drehen. Doch eine Komödie in verwaschenen Bildern — und dies ist nicht nur Ergebnis der Aufnahmetechnik, des Drehens auf Video und Umkopierens auf 16-mm-Film. Tissi und Fahrer wollten und machten eine melancholische Komödie, der die kreischenden Gags genauso fehlen wie die grellen Farben. Aber die Beiläufigkeit der Ereignisse reflektieren in ihrer lakonischen Unentschiedenheit nicht nur den Schweizer Alltag, sondern verleiten auch zum Schmunzeln. Tissi hat es in seinem Drehbuch auch verstanden, die Schwächen der Hauptpersonen ans Licht zu bringen, ohne sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Und — gerade für den deutschsprachigen Film eine ungeheure Leistung — er verbindet die luftige Sprache der Komödie mit dramatischen Elementen, mit dem Tod und Schrecklicherem, ohne daß es peinlich wird oder krampfhaft zusammengeklammert wirkt.

Tissi erzählt kleine, hübsche, manchmal fast unglaubliche Episoden, aus denen andere ganze Filme gemacht hätten. Die Schlafwandlerin Lucie lebt in ihrer eigenen Wohnung wie in einer Festung mit vergittertem Fenster und mehrfach gesicherten Schlüsseln, um sich vor sich selbst zu schützen. Özgür hat in Briefen an seine Eltern einen Schweizer Freund erfunden, der ihm eine Videokamera geschenkt hat. Die Eltern in der Türkei kaufen sich extra einen Rekorder, um Hansruedi sehen zu können. Özgür macht sich auf den Weg, um einen Schweizer zu finden, der Hansruedi schauspielern könnte. Der Film reißt diese Anekdoten nur an und nimmt ihnen damit jede überflüssige Überfrachtung. Die Kamera von Dieter Fahrer und das Spiel der Darsteller (bis auf Elisabeth Niederer sind alle Laien) sorgen dafür, daß „Aus heiterem Himmel“ nicht zur Nummernrevue verkommt, sondern eine unerwartete Leichtigkeit entwickelt, und das trotz der komplizierten Parallelkonstruktion und des Themas Alltag. Am Ende hat sich durch die Begegnungen für alle Protagonisten das Leben geändert. Einer fährt nach Hause, eine springt aus dem Fenster, eine wird überfallen, zwei finden sich. Wie das im richtigen Leben halt so ist. Thomas Winkler

„Aus heiterem Himmel“ von Felix Tissi und Dieter Fahrer. Ab 15.10. für zwei Wochen im fsk, Wiener Straße 20, Kreuzberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen