Sanssouci: Nachschlag
■ "George Sand"
Amantine – Aurore – Lucile Dupin lebte zu einer Zeit, da Frauen noch nicht öffentlich rauchen durften, ohne der heftig qualmenden Männerwelt peinlichst aufzustoßen. Wieviel peinlicher dann aber (für eben diese Männerwelt), wenn eine solche Frau es wagte, sich ein männliches Pseudonym zuzulegen und in Männerkleidern herumzustolzieren: George Sand, unverzichtbarer Bestandteil der schriftstellernden Boheme im Paris des 19.Jahrhunderts und mit einer Hinterlassenschaft von 180 Bänden Literatur eine der fleißigsten Schriftstellerinnen und Briefschreiberinnen aller Zeiten, hat den Affront an der Geschlechterfront vehement gesucht und mit zahlreichen Liebschaften besiegelt.
In der Inzenierung von Andrea Vilter darf die wortgewaltige Verfechterin für unkonventionelles Frauenrecht tatsächlich die Hosen anziehen: nicht irgendwelche historischen Maßanzüge – die Haute Couture ihrer Zeit paßte ihr wahrhaft nicht –, sondern, unkonventionell genug, die Jeans unserer Tage. Mit der bekannten Werbespotmanier von Levis 501 bekommt sie gleich zu Beginn der Szene eigens ihr aktualisiertes Beinkleid verpaßt, um damit im folgenden durch die Liebesstationen ihres Lebens zu eilen. Von der Schriftstellerin und Performancekünstlerin Glinka Steinwachs stammt die Vorlage, die nun überarbeitet am Theaterdock vorgestellt wird. Leider kann die aus der Beschränkung der Mittel heraus immer wieder brillant auftrumpfende Inszenierung nicht darüber hinwegtäuschen, daß die schrankenlos auftrumpfende Sprache von Frau Steinwachs außer einer halbironischen Attitüde nicht allzuviel zu bieten hat. Wenn sich gegen Ende gar bedrohlich der bewegte Zeigefinger reckt, um im Prozeß des Ehemanns gegen seine unkontrollierbare Gattin halbseiden in die unheilvollen Gefilde der Emanzipationsanklage abzudriften, wird der spielerische Charakter fast ganz verraten.
Immerhin macht Susanne Wende als Wechselbalg knabenhafter und weiblicher Erotik das ständige Schwanken der George Sand zwischen störrischer Aufsässigkeit und schwärmerischer Leidenschaft hinreißend glaubhaft: Mal sitzt sie, mit Zigarre, versessen über ihrer Schreibmaschine und verwandelt Leben unvermittelt ins geschriebene Wort, mal fährt sie lyrisch gestimmt durch Venedig und geht dem baritonal gestimmten Gondoliere unverdrossen an die Hose, während ihr Geliebter über Bord kotzt.
Der Schwung der Szenenfolge ist dem personenreichen Ensemble zu danken, das wohltuend aufeinander eingespielt ist, sowie dem überaus praktikablen und witzigen Bühnenbild von Thomas Gabriel, das erlaubt, mit wenigen Handgriffen aus einer venezianischen Gondel einen Flügel zu zaubern, auf dem Frederic Chopin seine tuberkulösen Töne erahnen läßt. Insgesamt eine souveräne Arbeit der FU-Studiobühne, hochmotiviert, doch leider ohne den nötigen Biß: Der ironische Impetus verbiegt sich an der Unbedarftheit des Stücks den etwas zu weit vorgestreckten Hals. baal
Weitere Vorstellungen: 4.-6.12., Theaterdock in der Kulturbrauerei, Lehrter Straße, jeweils 20.00 Uhr
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