Sanssouci: Vorschlag
■ „Sleepwalking Through The Open Country“ – Bilder von Serge Kliaving im Künstlerhaus Bethanien
Die Grenzen der Ausstellung sind rasch abgesteckt: Vom deutsch-französischen Kulturaustausch nach Berlin verschlagen, hat sich Serge Kliaving – kaum in seinem Atelier angekommen – eine Art inneres Exil eingerichtet, um von dort eine imaginäre Reise durchs Deutschland des Herbstes 1992 anzutreten – ohne das Haus zu verlassen, schließlich hatte es ihn ja in „Kant's Country“ verschlagen, wie er ein wenig augenzwinkernd sein Prinzip der häuslichen Beharrlichkeit persifliert. Dennoch hat die Reise durch jene Phantasielandschaft, die man „Deutschland“ nennt, klare Vorbilder. 27 Tuschezeichnungen hängen an der Wand, so viele Abschnitte hatte Heine, der deutsche Dichter im Pariser Exil, in seinem „Wintermärchen“ dem Heimatland gewidmet: „Es blühte in der Vergangenheit so manche schöne Erscheinung, des Glaubens und der Gemütlichkeit; jetzt herrscht nur Zweifel, Verneinung“ (Caput XXV). Vielleicht ist aber auch jede Begegnung nur Zufall, wie Kliaving mehr noch an Raymond Roussel denn an Lautréamont anknüpfend vermutet. Für den illustrativen Charakter als Interpretation der Zeichnungen hat er zumindest Verständnis: „Es sind wirkliche Landschaften, allerdings vom Zeitgeist erfaßt.“ Ob von seinem oder dem der Brandschatzer, läßt der Künstler in der Schwebe. Der erste Eindruck erweckt recht deutliche Assoziationen: Selbst idyllische Landschaften mit Bauernhof oder der Sonnenuntergang am Weiher wirken als schwarze Chinatuschezeichnungen verkohlt und ausgebrannt. Dieser Eindruck einer permanenten Katastrophe wird noch durch die fast gleichmütige Handschrift verstärkt.
Aber es ist nicht die Umkehrung der Strategie feuerschwingender Faschisten, die Kliaving spiegelt. Vielmehr weicht er der Darstellung jener Gewaltaktionen aus und stellt das Bild der Zerstörung still, das als solches wie gebannt erscheint. Diese Parodie auf das Geschehen geht aber schon immer mit der Distanz einher. Doch Kliaving will die Leute verletzen. Dafür nimmt er das Pathos der Inszenierung einer ewigen Wiederkehr in Kauf. Jedem der Bilder wohnt ein Hauch jener Kälte inne, wie sie von Walhalla über die Romantik hinaus dem deutschen Geist in den Ohren geklirrt haben mag. Neben der zerstörten Natur ist der Künstler auch diesem Phänomen auf der Spur: Als aufrechtes Rechteck verwandeln sich Sargplatten bald zu Bunkern, oder Kirchen schmiegen sich nekrophil dem Boden an. Die Form siegt über den Gehalt, die Variabilität der äußeren Erscheinung zeugt von dem Schrecken dessen, was in der Speerschen Architektur ad totum konstruiert wurde.
Neben die Bilder von düsteren Gralsburgen und Kathedralen hat Kliaving die Überreste eines Stacheldrahtes gehängt, in dessen Hintergrund man die Umrisse von Baracken vage zu sehen vermeint. Der Tod baut, wohnt und denkt in Deutschland meisterlich. Daß die Bilder sich andererseits nach einer gewissen Eingewöhnungszeit mit den expressionistischen Zeichnungen eines Alfred Kubin vergleichen ließen oder gar im Schwarzweiß sich der Sorge des Existentialisten anschmiegen, dessen Sein allein in jener Kargheit der gerodeten Landschaft sich entfalten wollte, kümmert Kliaving nur wenig. Das „offene Land“, durch das er in seiner Imagination „schlafwandelt“, berührt mit den zertrümmerten Bildern vom deutschen Herbst nur eine Facette, deren weitere Schnittstellen Kliaving als Fotomontagen in einem
Fotomontage von Serge Kliaving Abb.: Katalog
begleitenden Katalog zusammengestellt hat. Dort wird die poetische Note, die in den Zeichnungen noch angedeutet wird, gänzlich einer Konstruktion der Wirklichkeit geopfert, die sich in den Medien schon längst überlagert. Es sind nicht mehr der Regenschirm und die Nähmaschine, die auf dem Seziertisch aufeinandertreffen. Dafür verwachsen die Perversion der westlichen Warenwelt und das Elend der Restbevölkerung in einem vergewaltigenden Akt als Montage: Disneyland und Kinderpornographie, Armut und die Marginalisierung der Verlierer als Underdog oder die Ölpest und der Sensemann mit Möwenschädel. Für die Unversöhnlichkeit der heutigen Bilder hält der Aufklärer Kliaving selbst im Traum beide Augen offen. Harald Fricke
„Sleepwalking Through The Open Country“ von Serge Kliaving bis 28.2. im Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, Di. bis So. 14-19 Uhr.
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