Sanssouci: Nachschlag
■ "Transportarbeiter Biermann" im BE
Wolf Biermann im Berliner Ensemble, seine Übertragungen und Vertonungen anderer Dichter vorstellend. Ein Bericht darüber, der dann mit Lob, Tadel oder differenzierendem Mischmasch enden müßte. So einfach aber ist es nicht zu haben, nicht in diesem Land, nicht mit diesem Mann. Kurz vor Konzertbeginn wurde ihm eine Mappe von Ausschnitten aus dem Neuen Deutschland von 1976 überreicht; Zitate aus dieser Prosa des Erbärmlichen würden allein schon einen eigenen Text rechtfertigen: „Wer den Hausfrieden bricht, muß sich nicht wundern, wenn er von den Hausbewohnern des Hausfriedensbruchs bezichtigt und des Hauses verwiesen wird“ – Stellungnahmen von „Kulturschaffenden der DDR“ anläßlich Biermanns Ausbürgerung. Jetzt ist er wieder da, hat diesen Staat überstanden, und wenn dann hier in der Friedrichstraße vor vollbesetztem Haus das „Lied vom preußischen Ikarus“ zu hören ist – dann wird wohl auch ein vollkommen unsentimentales Gemüt etwas bewegt werden.
Dabei war die Veranstaltung keineswegs nostalgisch konzipiert, Neues stand auf dem Programm: Shakespeares Sonette, übertragen und vertont von Biermann, reichlich Überraschungsstoff für Ohren, die meinen, bei Nennung dieses Namens immer nur „Dissidenten-Songs“ hören zu müssen. Die Lüge von der Einseitigkeit, am besten wegzuputzen durch seine Lieder: Okudshawa, Dylan Thomas, Ernesto Cardenal: vielfältig, spannend – und hochaktuell. Dylan Thomas in Biermanns Übertragung: „Als ich sie noch um ihrer Fehler willen liebte / Wie auch um dessentwillen was an ihnen Gutes war / Warn meine Freunde lang schon Feinde hoch auf Stelzen / Mit dem Kopf da oben in der Wolke des Verrats.“ Berliner Ensemble, der rechte Ort für passende Assoziationen. Der Hausherr freilich war krank und auch von seinen Mitintendanten war nichts zu sehen. Biermann am BE, wo er schon von 1957–59 als Regieassistent arbeitete, jetzt aus der weiten Welt an den Ursprung zurückgekommen für reichlich zwei Konzertstunden. Freundliches Publikum, dem besonders die fröhlichen französischen Chansons zu gefallen schienen, das Beifall klatschte und nicht murrte. Und nachdem Eva- Maria Hagen auf die Bühne gestolpert war und mit Gitarren- und Klavierbegleitung zusammen mit Biermann ein gigantisches „Bei mir biste schejn“ (natürlich in der Übertragung des Meisters) hingelegt hatte, klatschten die braven Leut' sogar etwas lauter – am Schluß riefen sie dann nach einer Zugabe. In Moskau oder Paris hätte es sie wahrscheinlich von den Sitzen gerissen. Aber bei der deutschen Kulturnation darf man wohl schon dankbar sein, wenn sie einem ihrer bedeutendsten Dichter (man sieht, der Schreiber dieser Zeilen ist parteiisch) wenigstens ruhige Zustimmung angedeihen lassen – sol sajn. Das jiddische Lied in Biermanns Worten: „Mag sein, wenn ich alles erreicht hab', erreicht habe nichts als ein Anfang von vorn.“ Und das zählt – jenseits der Ressentiments und der Sattheit. Marko Martin
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