Sanssouci: Vorschlag
■ Edward Bonds „Trauer zu früh“ in Potsdam
„Ubu Roi“, jenes skandalumwitterte Theaterstück des Gymnasiasten Alfred Jarry und seiner Mitschüler, diese farcenhafte Satire auf die Lehrer- und Elternwelt, erzählt die scheiternde Invasion in Polen von Vater Ubu, dessen Infantrie mit stumpfen Käsemessern ausgerüstet ist. Den Kunstgriff, kleinbürgerliche und spießige Verhältnisse und ihre untergründige Emotionalität mit einer Haupt- und Staatsaktion dramatisch zu verdichten und lächerlich zu machen, mußte Edward Bond für „Trauer zu früh“ wohl im Kopf gehabt haben. Die Satire läßt Königin Viktorias Familie und ihren engsten Kreis mächtiger Staatsmänner in einen Staatsstreich und dessen Abwehr verstricken. Dabei dient das geschichtliche Material lediglich der Ausstattung eines Zwistes zwischen hemmungslos egoistischen Familienmitgliedern.
Bei Bond sind die Perversionen, die unterhaltsam überraschen, ein wenig zusammenhanglos und fassen zur Steigerung selten etwas zusammen. Die zwanzig Szenen bleiben recht konturlos. Königin Viktoria vergewaltigt Florence Nightingale, die Verlobte ihres Sohnes George. Der wiederum wird ermordet und hängt dann als pendelndes, allmählich zerfallendes Skelett an seinem siamesisischen Bruder Arthur. Etwas viel und unkonzentriert englischer, schwarzer Humor: Viele halbe Einfälle, wie das Trinken aus einem Damenschuh, müssen hier Ausgleich für den selten erreichten ganzen schaffen.
In Potsdam setzte Holger Schultze zwei halbherzige Konzepte um. Er inszenierte die Figuren dieser Farce einerseits wirklichkeitsnah und ließ andererseits Christel Leuner die Königin Viktoria überspitzt darstellen: martialisch und kalt, nervös und zackig, eine ehern Selbstbewußte, die ihre monströsen Widersprüche eitel genießt. Das sind Übertreibungen, wie sie anfangs auch Gerd Staiger als Prinzgemahl Albert zustande brachte: ein würdiger Repräsentant, der dennoch aufgelöst und voll juveniler Gier, Viktorias Tyrannei zu beseitigen sucht.
Die Wirklichkeitsnähe der inszenierten Figuren wurde der Skurrilität des Textes wenig gerecht. Die Darsteller konnten kein Extrem in sich zu finden und ausgestalten. So blieb die Farce über Strecken von etwas mattem Reiz, bis hin zur Situation im Himmel, wo es keine Schmerzen gibt und die Personen nachwachsen. Hier können sie ausleben, was sie schon immer wollten, dem Familienkanibalismus frönen und sich wie Bestien auffressen. Darauf wird viel Zeit verwandt. Große, echte Fleischfetzen und Skelette werden benagt und auf der Bühne herumgeschleppt. Das war zum Abschluß schön schrecklich und eklig.
Trotz der Einschränkungen ist die Inszenierung eine Augenweide für den besonderen Geschmack. Mit der Zeit dürfte das Ensemble noch lustiger werden. Bertold Rünger
Weitere Vorstellungen: 5.3. und 14.3. um 19.30 Uhr im Neuen Theaterhaus, Potsdam
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