Sanssouci: Vorschlag
■ Aboriginesmalerei in der Alten Nazarethkirche am Leopoldplatz
Am Anfang der Traumzeit war die Erde wüst und leer. Dann brachen die Ahnen aus der Erdkruste hervor, halb Tier, halb Mensch, und wanderten über den australischen Kontinent. Sie schufen Berge und Flüsse, Pflanzen, Tiere und Menschen. Müde von der Arbeit sanken sie zuletzt ins Erdreich zurück und fielen wieder in tiefen Schlaf.
Die Schöpfungsmythen („Dreamings“) der australischen Ureinwohner werden in Gesängen überliefert, nach denen die menschlichen Nachkommen der Ahnen deren mythische Wanderung exakt nachvollziehen können. Die Trampelpfade („Songlines“) durch die australische Landschaft lassen sich auch als Ornamente aus Punkten, Kreisen und Spiralen darstellen. Die Aborigines kennen eine lange Tradition von Körperbemalungen und Sandmosaiken, die anläßlich ritueller Zeremonien ausgeführt und am Ende wieder zerstört werden. Sie bilden die Grundlage für die überraschend modern anmutenden Tafelbilder von Aborigines-Künstlern, die seit etwa 10 Jahren in Galerien überall auf der Welt ausgestellt werden. Eine sehr schöne Auswahl großformatiger Gemälde zeigt das Kunstamt Wedding noch bis zum 27.3. in der Alten Nazarethkirche am Leopoldplatz.
Angeregt wurde die neue Bewegung von dem Kunstpädagogen Geoffrey Bardon, der 1971 an der Schule der Aborigines- Siedlung Pintupi zu arbeiten begann. Sie gewann schnell an Breite und gehört heute zu den wichtigsten Stützen (und Einnahmequellen) der um ihre kulturelle Identität kämpfenden australischen Ureinwohner. Viele der 36 in Berlin gezeigten, Ende der 80er Jahre entstandenen Bilder stammen bereits von der zweiten Generation der Aborigines-Maler. Zu ihr zählen auch viele Frauen, darunter die 1910 geborene Emily Kngwarrey. Sie hat das abstrakteste Bild beigesteuert: ein mit gelben, braunen und grünen Punkten übersätes Rechteck stellt das Aufblühen der Wüste nach einem Regen dar. Andere Bilder zeigen den Regenbogenschlangentraum, den Buschbohnentraum, den Milchstraßentraum.
Obwohl sie Geschichten erzählen, sind die Bilder fast ganz frei von gegenständlichen Elementen. Dramatik oder meditative Ruhe teilen sich allein über das Spannungsverhältnis der abstrakten Ornamente mit. Die pointilistisch aufgetragenen Erdfarben lassen die kartographische Bedeutung der Spiral- und Linienmuster immerhin erahnen. Auf jeden Fall lohnt sich die Anschaffung des so schönen wie informativen Katalogs, in dem die den mythischen Bildern zugeordneten Geschichten aufgeschlüsselt werden – soweit sie preisgegeben wurden. Denn die bildliche Darstellung sakaraler Inhalte wird von den ältesten Hütern eines Traumes oft nur unter der Auflage genehmigt, über ihre tiefste Bedeutung Schweigen zu bewahren. Michael Bienert
Aboriginal – Malerei der Ureinwohner Australiens. Schinkelsaal, Alte Nazarethkirche am Leopoldplatz. Di-Fr 10-18, Sa 12-16 Uhr. Eintritt frei, bis zum 27.3.
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