Sanssouci: Vorschlag
■ „Der Großinquisitor“ von Tabori in Potsdam
Je extremer der Ringkampf zwischen dem Mönch Aljoscha (Viktor Neumann) und seinem Bruder Iwan (Roland Kuchenbuch), Geschäftsmann und Lüstling, desto stärker duftet es. In einer volkstümlichen Fischküche an einem gewaltigen Märchenherd steht eine jugendliche Köchin und malträtiert Forellen. Durch den häßlich gelb gekachelten Kücheneingang mit Neonröhre Auftritte eines schwarzen und weißen Engels; dazu ein alter Herr (Günter Rüger) wie ein Zirkusdirektor mit rotem Luftballon, ein Glamourgirl, das zu dem Moritatenlied im Brecht- Duktus „Liebe deinen Nächsten“ seinen Körper bei Fernsehmusikuntermalung vorführt. „Und der eine, der ist böse, / und der andere ist ein Schatz, / Beide kriechen aus der Möse, / Nur für einen ist dort Platz.“ Eine Prise unfein, unlogisch und auf alle Fälle unterhaltsam purzeln die Szenen vorwärts, wie es sich für Tabori gehört: nicht nur amüsant, der Scherz muß in der Tragik der Weltgeschichte gründen. In graubraune Decken gehüllt, drei Kinder in den Mantelfalten, stürmt mit der Energie der Verzweiflung eine Frau die Küche. Sie behauptet, Prostituierte zu sein, und der Mafiosi-Typ Iwan im hellen, eleganten italienischen Zwirn, spendiert ihr erst mal Suppe. Gruschenka (Ruth-Claire Lederle), so heißt die Flüchtige, macht sich über den Teller her und verfolgt Iwans Aktionen mit der Aufmerksamkeit einer Hündin. An ihn muß sie sich halten. Aljoschas wohl nur behauptete selbstlose Liebe läßt Iwan als Bösen erscheinen, und deshalb ist er gekommen: um sich in dieser Nacht von Aljoscha zu befreien. Gruschenka hält Iwan für alle Fälle bereit. Sie wird allerdings kaum zu tun bekommen. Sie hat hauptsächlich die Aufgabe, das Jammertal Erde mit der Erzählung von ihrer Kindheit zu bebildern, zugleich die Notwendigkeit und Absurdität von Aljoschas idealer Liebe belegend.
Der joviale, brutale Iwan will den starren, hölzernen Aljoscha in sexuelle Versuchung führen. Gruschenka schleift sich auf den Knien heran, unterwürfig lächelnd greift sie Aljoscha in vorauseilendem Gehorsam in die Hose. Als Aljoscha standhält, kehrt sie sofort zu ihren körperlichen Nöten in gleichsam tierischer Sorge zurück. Prostitution, Unterwerfung, Selbstverlust berühren sie nicht mehr. Das Spiel der Männer findet aus Trockenheit und Langatmigkeit nicht heraus, man wartet auf Lederles erlösende Einspielungen. Die Entkleidung der Männer, ihr Ringen und Würgen am Schluß ist ein plötzlicher Überraschungseffekt. Enthüllungen hätte es vorher mehr geben müssen. Der Beifall nach langer Pause war höflich. Berthold Rünger
„Der Großinquisitor“ von Tabori, Hans-Otto-Theater in Potsdam, Inszenierung: Guido Huonder, Nächste Vorstellung: 12.3. in der Reithalle Schiffbauergasse
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