Sanssouci: Vorschlag
■ Le Cirque Invisible
Wo kommt nur auf einmal dieser dicke, fette Has' her? Eben war die Pfanne noch leer, wurde sie flambiert zum Beweis, daß sich kein lebendes Wesen darin aufhält, und dann sitzt da plötzlich ein Hase mit körperlichen Ausmaßen, die einen staunen lassen. Er wird vorn auf die Bühne gesetzt, und damit er sich nicht langweilt, geben sie ihm ein Buch zu lesen. Musik wird gemacht, eine Gans kommt, singt dazu, der Has' rümpft die Nase, zwei, drei, viele Gänse vereinen sich zum Chor, eine davon ist erbarmungswürdig dürr. So ist das, wenn Victoria Chaplin (eine Tochter von Charles) und Jean-Baptist Thierrée Zirkus machen. Kein klassischer mit Pferden, Tigern und Clowns, die Torten werfen, mit großer Geste und Tamtam. Hier blasen sie die leisen Töne, wird die Liebe zum Detail ausgelebt — aber exzessiv.
Thierrée ist der Zauberer. Weißes, zottiges, gelocktes Haar; große, staunende Augen. (Manchmal erinnert er einen an Harpo Marx.) Er liebt Koffer über alles. Zu jedem seiner Tricks schleppt er ein extra Gepäckstück herbei: Mal zeigt der Deckel ein Pärchen, das aufeinander zugeht, mal einen Engel mit Wolke, die im Dunkeln leuchtet, mal eine Vase, deren Hals aufgesteckt werden kann (klar kommt auch noch eine Blume rein). Thierrée kann all die üblichen Sachen seiner Zunft, wie: Tauben aus der Nase ziehen, Jungfrauen schweben lassen. Vor allem aber ist Thierrée ein Meister des Umkleidens: unzählige Kostüme, die er in Sekunden wechselt (allein das eine Kunst). Einzelne Szenen dauern nur Momente, der Mann im Wind etwa. Licht an: Alles ist nach hinten geweht, das Haar, der Schal, der Koffer, der Mantel. Licht aus, ein kurzes Bild — fertig.
Jean-Baptiste Thierrée und Victoria Chaplin
Chaplin baut Fabelwesen. Alles kann sie zusammenstecken oder ummodeln. Zehn weiße Stühle als Kostüm hat sie an sich hängen, dazu stehen ein paar braune aus Holz herum, sie stellt sie alle aufeinander und reitet auf ihnen von der Bühne. Ein Kleid wird ruck, zuck zum Pferd, ein anderes mit wenigen Handgriffen zum schnaubenden Stier, der Dampf aus den Nüstern bläst, die eben vielleicht noch Ärmellöcher waren. Dann zieht sie sich ein andermal den Rock über den Kopf — voilá, ein Lurch.
Jean-Baptist Thierrées Sohn James Spencer ist Artist. Er kann turnen, als schwimme er in einem Wellenbad. Kann auf Rädern fahren, die jeden abwerfen würden wie ein bockiger Esel. Kann..., aber nun würde es zuviel, all die kleinen Geschichten aufzuzählen, die einen bezaubern und belustigen. Vielleicht noch die: Der alte Thierrée singt eine Arie, in die Kniestulpen seiner Stiefel sind zwei Gesichter eingelassen, die den Mund bewegen können — am Ende singt ein Terzett, synchron und dramatisch. Oder die: Fährt ein Tandem durch die Gegend, hinten drauf ein Skelett; plötzlich dreht das den Kopf ins Publikum und grinst.
Tausend kleine Dinge, mit Akribie gebastelter Schnickschnack, abenteuerlicher Unfug in Mengen — der Cirque Invisible reist mit gewaltiger Requisite. Es zahlt sich aus. Drei Personen, die ihr Publikum zwei Stunden lang auf einer kleinen, weißen Wolke schweben lassen. Chapeau! Herr Thömmes
Bis Sonntag, 21. März, jeden Abend 20 Uhr im Hebbel-Theater, Stresemannstaße 29, Kreuzberg 61, Telefon 2510144.
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