Sanssouci: Nachschlag
■ Musik-Biennale: Luisa Castellani im Kammermusiksaal
Eine Dame in blauem kimonohaftem Gewande erscheint auf der Bühne, nimmt kurz und zurückhaltend Empfangsapplaus entgegen, sitzt dann schon mit verschränkten Beinen, um leis- melodiöse Kantilenchen zu intonieren, welche sie zudem mit Hilfe einer Mandoline verhalten rhythmisch begleitet.
Giacinto Scelsi war da wieder am Werk, jener italienische Komponist, der aufgrund des glücklichen Zusammentreffens seiner adeligen Abstammung mit einer üppigen Erbschaft brav seinen fernöstlich-religiös motivierten musikalischen Eingebungen folgen konnte, statt wie viele Komponisten Stipendien und Aufträgen hinterherkomponieren zu müssen. Die Dame im blauen Gewande, niemand anders als die Sopranistin Luisa Castellani, aber hatte die Ehre, die von ihr vorgetragenen Stücke noch mit dem Maestro persönlich einstudieren zu dürfen. Und so bringt sie die netten Miniaturen zum Klingen, ohne daß sie sein wollen, was sie nicht sind: bedeutungsvoll. Luisa Castellani aber hatte sich am Samstag abend im Kammermusiksaal des Schauspielhauses noch mehr vorgenommen: Ein konzertfüllendes Programm hatte sie aus Sopran-Sololiedern italienischer zeitgenössischer Komponisten zusammengestellt. Und neben Scelsi durfte da freilich die Prominenz in Gestalt von Berio und Busotti nicht fehlen. Berios „Sequenza III“ bildete denn auch den Höhepunkt des Abends, bot doch dieses recht offen notierte Stück der Sängerin nicht nur Gelegenheit, ihre stimmlichen Möglichkeiten in erstaunlichster Variationsbreite zu entfalten, sondern auch noch gleichzeitig unter Beweis zu stellen, daß sie ihre frappante vokale Technik mit um nichts weniger überzeugendem emotionalem Reichtum zu kombinieren vermag. Sanfte Töne ißt sie gleichsam plötzlich auf, um sie abgedunkelt weiterklingen zu lassen, feuert zweischendurch Lachsalven oder intoniert im Pianissimo präziseste Staccato-Phrasen. Kein Wunder, daß Berio sie zu seiner Wunschinterpretin für mehrere seiner Vokalwerke auserkoren hat. Cathy Berberian reicherte mit einer eigenen Komposition das Sologesangs-Repertoire an. Ein witzig-karikierender Reißer ist ihr da gelungen, der so einiges an klischeehafter Sängerinnengestik in ironisches Licht stellt und Luisa Castellani Gelegenheit gab, auch schauspielerisches Talent zu beweisen. Daß es ihr zudem gelang, die lautstarken romantischen Reminiszenzen des neoklassizistischen Saales durch sparsam-intelligente Licht- und Bühnendramaturgie in musikalische Zwecke zu wenden, verwies nicht nur auf ihre Professionalität, sondern auch auf ein heute nur noch selten anzutreffendes Verständnis, daß ein Konzertprogramm mehr sein kann als eine lose aneinandergereihte Folge von Einzelstücken. Fred Freytag
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