Sanssouci: Vorschlag
■ „Ella“ von Herbert Achternbusch im Theater zum Westlichen Stadthirschen
Ellas Geschichte ist authentisch. Achternbusch hat sich ihr Leben erzählen lassen, hat es aufgezeichnet und als Monolog für einen Schauspieler bearbeitet. Es ist Ellas Sohn Josef in dieser Fassung, der ihre Geschichte erzählt, in der gleichen mühsamen, gebrochenen Sprache, die seiner Mutter zu eigen gewesen sein muß. Ella spricht durch Josef, und der fühlt sich ein, wird eins mit einem Leben, wie es schrecklicher wohl kaum vorstellbar ist.
Ellas Leben ist geprägt von einem Mangel: Wärme, Geborgenheit, Liebe hat sie niemals und von niemandem erhalten. Der Vater hält sie für geistesschwach, weil „ich mir nichts so merken habe können“. Um die unliebsame Tochter aus dem Haus zu haben, wird sie gegen ihren Willen mit einem Viehhändler verheiratet, der ihr ebenfalls nie eine Chance geben wird, der sie roh und gefühllos psychisch und physisch mißhandelt. Nach der Geburt ihres Sohnes Josef beginnt ein Leidensweg durch zahllose psychiatrische Kliniken (sofern diese Anstalten die Bezeichnung überhaupt verdienen). Sie ist nicht wirklich krank, es ist schlicht bequemer, sie auf die Art abzuschieben, denn Ella kann sich nicht wehren. Ein potentielles Opfer, von ihrer Umwelt zerdrückt und zerquetscht.
Bei den Westlichen Stadthirschen herrscht ländliche Idylle auf der kleinen Bühne. In einem Stall mit fünf echten Hühnern haust Johannes Herrschmann mit zerzauster, hühnerbefiederter Perücke, hier versucht er, seiner Figur Leben einzuhauchen. Am Rand, teilnahmslos und stumm, hockt Suse Mann, von Hühnern über und über bekleckert, mit verkrampften Händen und verbogenem Rücken. Sie ist die wirkliche Ella, die äußerlich verkörpert, was Josef erzählt. Um die Bauernhofromantik herum ist ein Gitter gespannt – Josef und Ella als Gefangene, als wilde Tiere im Käfig eingesperrt. Und das war's auch schon.
Regisseur Dieter Sudars gestattet Johannes Herrschmann keine Entwicklung seiner Figur. Zumeist trotzig und anklagend poltert er Ellas Geschichte heraus, immer auf der Suche nach der nicht vorhandenen Pointe, bajuwarisch volkstümelnd auf der Flucht vor einem wahrhaftigen Gefühl. Als hätte das Ensemble überhaupt kein Interesse an der Figur der Ella, zieht sich der Text zäh dahin, langweilt sich der Schauspieler zusehends mit zunehmendem Wörtermeer. Kein Schmerz ist zu verspüren, diese Ella erzählt aus einer ungesunden, dekadenten Distanz.
Und als wolle man am Ende alles wiedergutmachen, tanzt da zum Abschluß Suse Mann noch einen grotesken Tanz voll von gefolterter Seele und lautlosen Schreien. Der Schock wird nachgeliefert, eine Minute lang soll er ausfüllen, was vorher nicht vorhanden war und auch nicht mehr zu füllen ist. Die Hühner gackern weiter, trotz Ellas Selbstmord bleibt die Idylle ungestört. Anja Poschen
„Ella“ von Herbert Achternbusch: Bis 9. Mai, donnerstags bis sonntags, 20 Uhr, im Theater zum Westlichen Stadthirschen, Kreuzbergstraße 37
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