Sanssouci: Vor-/Nachschlag
■ „Der Biberpelz“ in den Kammerspielen des DT
Der Biberpelz Foto: Thomas Seufert/Sequenz
Genau hundert Jahre ist sie alt, Hauptmanns „Diebskomödie“, und braucht weder einen neuen Motor noch ein neues Kleid, um sich hurtig abzuspulen. Was von Thomas Langhoff am Sonntag abend in den Kammerspielen des Deutschen Theaters bewiesen wurde. Als er sich mit seinem Ensemble nach kaum mehr als zwei Spielstunden dem jubelnden Applaus stellte, war keine neue Erkenntnis gewonnen, war nichts passiert, worauf man nicht notfalls auch hätte verzichten können. Aber vergnüglich war's eben doch.
Die Geschichte von der Waschfrau Wolff, die ihren schmalen Etat durch kleine und größere Diebereien aufbessert und dabei unentdeckt bleibt, weil der lokale Amtsvorsteher mit der Enttarnung und Eliminierung zaghaft demokratischer Strömungen am Ort beschäftigt ist, war einst ein kleiner dramatischer Stachel im Fleische des Wilhelminismus. Heute läßt sich diese Schwejkiade nur noch im allgemeinsten Sinne des Wortes als politisch verstehen. Selbst wenn Thomas Langhoff das gerahmte Konterfei des Kaisers an der Amtsstubenwand mehrfach auswechseln läßt – und so auch nachfolgende deutsche Staatsoberhäupter (von Papen bis von Weizsäcker) staatstragend einseitige Rechtsprechung dulden –, wird aus dem „Biberpelz“ noch keine aktuelle Politsatire. Das Stück bleibt vor allem ein wohlformulierter Anlaß für eine treffliche Typendarstellung. Jutta Wachowiak hatte noch kaum die Bühne betreten, da gehört der Abend schon ihr. Genüßlich zieht sie alle Register der lebensschlauen Weiblichkeit, spielt mit Herz alle Nuancen des Familiendrachens und kokettiert ausgiebig mit der Unbeweisbarkeit ihrer Raubzüge. In ihren Wäscherinnenpantinen trampelt sie durch die Küche, zeigt in der Amtsstube die nackte Schulter, schwingt den Hintern, kommandiert und schmeichelt, windet sich Augen niederschlagend aus jeder Verfänglichkeit. Die Wolffen hat alle fest im Griff.
Langhoff und sein Bühnenbildner Pieter Hein haben Hauptmanns räumliche Anweisungen getreu umgesetzt: Die Akte spielen abwechselnd in einer engen, verwinkelten, blaugestrichenen Kleine-Leute-Behausung und einer weitläufigen, hellen Amtsstube. Dort residiert Dieter Mann als Baron von Wehrhahn – das bürokratisch-selbstherrliche Pendant zur Mutter Wolffen in Sachen Zweckmoral und Privatvorteil. Kurt Böwe walzt und schnauzt den Rentier Krüger durch die Akte, ganz der feiste Bürgersmann mit einem deutlichen Hang zum Choleriker. Bernd Stempel als Denunziant Motes schleimt blaß und mit keuchend- verklemmter Selbstgerechtigkeit die Negativfigur in dieser Typenkomödie, eine Rolle, die ihm geradezu auf den langen, dünnen Leib geschneidert ist.
Die Amtsstube mit den hohen Fenstern und Stempel als ewig beleidigter Schwächling erinnern an eine andere Inszenierung von Langhoff und Hein, die im Haupthaus der Schumannstraße noch immer zu sehen ist: Kleists „Zerbrochener Krug“. Auch den eiligen Schlurfgang auf Zehenspitzen, den Klaus Piontek seinem Amtsschreiber verleiht, bringt man sofort mit Thomas Neumann in Verbindung, der dort als Schreiber Licht auf die gleiche Weise durch die Gerichtsstube wuselt. Im „Zerbrochenen Krug“ spielt Piontek den distinguierten Gerichtsrat, der mit einem füßetrampelnden Ungeduldsanfall komisch überrascht. Im „Biberpelz“ bereitet er mit seinem unerwarteten servilen Zähneblecken einen der herrlichsten Augenblicke des Abends.
Die in einzelnen Elementen kaum zu ignorierende Ähnlichkeit der beiden Inszenierungen schmälert nicht die Stimmigkeit des „Biberpelzes“, bringt aber noch deutlicher ins Bewußtsein, daß hier wirklich nichts Neues zu sehen und zu erfahren ist. Jetzt fehlt nur noch Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“ in Langhoffs Regie (vielleicht mit Otto Mellies als Wilhelm Vogt), dann hätten wir alle drei großen deutschen Komödien aus einer Hand gestaltet beisammen. Dagegen, daß das Deutsche Theater sein Publikum bestens und leicht verdaulich bedient, ist nichts einzuwenden, zumal man sich dort mit wechselndem Glück auch um Zeitdramatik wie von Klaus Pohl oder Howard Brenton bemüht und die dramaturgische Ausgrabungskunst des Hauses erst mit O'Neills „Der Eismann kommt“ bewiesen wurde.
Schade ist eigentlich nur, daß es ausgerechnet Thomas Langhoff ist – doch immer noch der beste Regisseur an seinen beiden Theatern –, der sich aufs von vornherein Publikumswirksame zu verlegen scheint. Währenddesssen läßt man Gero Troike sein sprunghaftes Erstlingsdrama „Dolgensee“ mit sicher viel Willen, aber wenig Ausdruckskraft als Erstinszenierung selbst bebildern. Nach Ansicht dieser unglücklichen Kombination wird sicher so schnell kein weiterer Regisseur nach der Realisierung des Textes lechzen. Ob das ein Schaden ist, wäre eben zu prüfen. Eine vergleichbare Spielplanpolitik ist inzwischen auch anderen Ortes zu beobachten. Hier meisterhaft inszenierte Publikumsrenner, dort Uraufführungen, die bald wieder dem Vergessen anheimfallen – die Spielpläne konventionalisieren sich. Petra Kohse
Weitere Vorstellungen: 15., 23. und 26. Mai, 19.30 Uhr
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