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SanssouciVorschlag

■ „Morphologische Reihungen“ in der Galerie Aedes

B. Tonen: Entwurf „Holsteiner Ufer“ Abb.: Katalog

Die Berliner Architektur zeichnet sich in ihrer typischen Ausprägung seit dem 19. Jahrhundert durch eine gewisse Strenge aus. Sie rührt aus der Tradition des hier neu belebten Klassizismus und aus dem preußischen Ordnungsbegriff und der eher konservativen Haltung gegenüber allem formal zu Gestaltenden. Das Mietshaus zum Beispiel verdankt sich mehreren in dieser Haltung verborgenen Strömungen: dem Krankenhaus- und Knastbau als „Bewahranstalt“ mit deren Notwendigkeit zur Kontrolle, der rationalen Block- und Straßenführung in Verbindung mit einem effektiven Kanalisationssystem, der Verwendung eines nur leicht variierten Formenkanons und nicht zuletzt einer Planungsmentalität, die versucht, „Ordnung“ in ein wild wucherndes, sich verselbständigendes Prinzip von Wachstum und Entgleitung zu bringen. Preußische Ordnung eben.

Es gab hier in Berlin aber auch die Richtung des Floralen, des Jugendstils. Beispiele aus dieser Zeit, vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis hin zu den originären Schöpfungen Hans Scharouns, sind nur selten auszumachen. In dieser Dialektik von Strenge und Organisch-Floralem liegen aber seit jeher die Wurzeln dessen, was Baukunst im klassischen Sinne bedeutet. Das Betrachten der Natur und ihrer Gesetze vom Werden und Vergehen, Scheiden, Probieren, Experimentieren, vom Fallenlassen und Neu-Hervorbringen war allerdings dem ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrundert mehr als anderen Epochen eigen und wurde mit Goethes naturwissenschaftlichen Studien und in seiner Folge von diversen Vertretern der Kunst- und Naturwissenschaft immer wieder ausgelotet. „Morphologie“ war Thema und Experimentierfeld zugleich. Mit Analogien in Malerei und Baukunst wurde der kalten Rationalität die warme Schulter der Natur gezeigt.

Nun hat sich im Laufe der Zeit das Verhältnis des Menschen zum „Organischen“ durch die Eroberung, Bezwingung und Unterwerfung der Natur grundlegend geändert: Man mag kaum mehr zu unterscheiden, ob der Mensch Appendix des Technischen und somit der von ihm erschaffenen Apparaturen ist – oder eben vice versa.

Das Analoge von Kunst und Technik, besser: der Versuch der Versöhnung dieser Bereiche, die in letzter Konsequenz wohl doch streng zu scheiden sind (schon weil aus diesem Gegensatz die fruchtbare Spannung erwächst), kann man derzeit in der Architekturgalerie Aedes am Savignyplatz sehen. Der Berliner Architekt Benedikt Tonon stellt hier seine in den letzten Jahren geschaffenen „Formkonstrukte“ in Form von Modellen und Zeichnungen, die Malerin Maren Krusche ihre „morphologischen Reihungen“ aus. Zwar fungieren auch Tonons Figurationen unter diesem Titel – zuletzt sind es aber doch eher die Strenge und das poetische Konzept, die diese Architektur auszeichnen.

Tonon transformiert die in den letzten hundert Jahren für Berlin ausgeloteten formalen Systeme ohne Mühe – und doch ist die ernste Arbeit an einer Neuformulierung und einem originären Beitrag zu diesem Kanon noch jeder Zeichnung und jedem Modell anzusehen: statische Ruhe, ein immer wieder neu zu findender Rhythmus durch Reihungen und Einbindung in den jeweiligen städtischen Kontext, ausgewogene Proportionen ohne schrille, vorlaute Töne. Modern, bisweilen poetisch in der Haltung, nie modisch, immer rein. Berliner Architektur vom Feinsten (auch wenn nicht alle gezeigten Projekte in Berlin stehen).

Mit den Bildern von Maren Krusche verhält es sich ähnlich – aber eben nur ähnlich, denn hier ist es Kunst, das klassische Tafelbild, das den Rahmen setzt und die Bildwelt beschneidet. Anders als die Architektur, die sich ja in einem eher virtuellen und bewegten Raum befindet, der stark der Zeit und dem Sehen, der Technik und der Veränderung unterliegt, ist das Tafelbild zunächst einmal nur sich selbst verpflichtet: Es macht sich selbst zum Gegenstand, wird nicht bewohnt und auch nicht begangen. Es hängt still und harrt der temporären Betrachtung.

Maren Krusche konfrontiert auf ihren Ölbildern (und mit ihren Bildern) das semantische Substrat organischer Formen (Fische, Vögel, Schnecken) mit überlagerten Rasterungen und geometrischen Einteilungen, mit Reihungen und mitunter eben auch mit architektonischen Formelementen, mit einer Wand oder einer Treppe. Es ist ein ruhiges, in sich gekehrtes Spiel, nie aufgeregt, eher kontemplativ und daher auch komplementär zu den Architekturen Benedikt Tonons. Ein wechselseitiger Spaß mithin, der die Bereiche Kunst und Technik in der Ausstellung optisch zusammenführt, sie aber nicht vordergründig miteinander verrührt, sondern jeweils dort beläßt, wo sie hingehören: ins Reich der Sinne, der ernsten Beschaulichkeit. Martin Kieren

„Morphologische Reihungen“: Ausstellung von Werken des Architekten Benedikt Tonon und der Malerin Maren Krusche. Galerie Aedes, S-Bahn-Bogen 600 am Savignyplatz, Charlottenburg. Noch bis Sonntag, 23. Mai. Öffnungszeiten 10–18.30 Uhr.

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