piwik no script img

SanssouciVorschlag

■ Hurra, sie leben noch - "The Gun Club" im Loft

Die meisten Dinge, die man in letzter Zeit über den Gun-Club- Vorturner Jeffrey Lee Pierce hörte, schienen direkt ärztlichen Bulletins entsprungen zu sein: Leberzirrhose, psychiatrische Behandlung und Alkoholismus, ein in sich geschlossener, logischer Kreislauf, eine Seite des Rock'n‘Roll-Lifestyle eben. Seine Plattenfirma hielt die Erinnerung an ihn mit zwei Gun-Club-Live-Alben, einem neuen und einem recycelten, aufrecht und nährte damit zusätzlich noch den Verdacht der künstlerischen Ausgebranntheit. Den Beiweis, daß dem nicht so ist, daß Körper und Geist wieder einigermaßen funktionieren, erbringt „Lucky Jim“, das erste „richtige“ GC-Album seit drei Jahren, eine Hommage an die Städte Saigon (eine Liebeserklärung) und London (das Lebenselixier). „Lucky Jim“ ist die Fortschreibung des Jeffrey- Lee-Pierceschen Blues, eines Blues, der bisher in einem psychedelisch-schroffen Gitarrengewand seine musikalische Grundlage hatte, auf „Lucky Jim“ aber jetzt offensichtlicher, gelöster, manchmal sogar countryhaft-gedoowopt angeboten wird. So stand auf den frühen Gun-Club-Platten den Blues-Schmerz-Themen immer eine Wildheit, Ungebändigtheit gegenüber, das zunehmend, ab der 87-Platte „Mother Juno“ beginnend, einer teilweisen Zartheit wich: „Breaking Hands“ ist der hypermelodiöse, melancholische Gun-Club-Song, ein Song, zu dem in „schlaflosen Nächten“ schon einsame Frauen getanzt haben, und das Stück „Yellow Eyes“ bedeutete das völlige Aufgehen in den Blues. Daß einer mit zunehmendem Alter so etwas fortschreibt, wundert nicht: Warum noch Wichtigkeit und Relevanz dokumentieren, wenn man eine Zeitlang schon fast nicht mehr von dieser Welt war? Warum sich noch an den großen Themen des „Bad America“ abarbeiten, wenn einem die eigene Privatheit soviel näher ist? Da passiert es dann eben auch mal, daß Sehnsucht und Gefühlslage in Weltgegenden transportiert werden, ohne nur im geringsten deren politisch-historische Gegebenheiten zu reflektieren (und JLP sich ewig in diesem dümmlich-martialischen Military-Look ablichten läßt). Das verzeiht man dann schon, denn der Gun Club ist schon lange ein Klassiker geworden, mit weitem Abstand zu zeitgenössischen, musikalischen Strömungen, und wenn man die „Las Vegas Story“ nochmals hört, dann ziehen Jahre und Zeiten an einem vorüber. Musik, die bleibt, fast für die Ewigkeit. (Und Amen! Na ja.) Gerrit Bartels

„The Gun Club“: 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz 5.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen