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SanssouciVorschlag

■ Christian Marclay – König der Plattenbrecher

Es ist ein wenig wie Radio-Zapping, nur, daß das Hüpfen eine dramaturgische Dynmaik hat. Drehorgelspieler, Sitarspieler, Plattenspieler, Opernsängerin, russische Militärkapelle, Ex-Ostberliner-Chor bis hin zum HipHop-DJ und der Speed Metal Band: sie alle läßt Christian Marclay für sein „Berlin Mix“ im Rahmen der US-Arts aufeinanderlosspielen. Der Gegensatz – die musikalischen, sozialen Generations-Welten, die dabei aufeinanderprallen – soll die Spannung des Ereignisses erzeugen. Als Experiment werden alle Gruppierungen ihre eigene Musik, ihr normales Repertoire spielen. Marclay hört sich im Vorfeld alle Gruppen an, macht Pläne, erarbeitet Improvisationsstützpunkte. Die einzige gemeinsame Probe wird einige Stunden vor dem Konzert stattfinden.

Marclay, der „bildende Musikschaffende“, setzt die Schwer- und Ruhepunkte. Ob das klappen wird, weiß er noch nicht. „Ich kann mir vorstellen“, entgegnet er, „daß es wirklich Gruppen gibt, die liegen so weit auseinander, da sind solche Generationssprünge, auseinanderklaffende soziale Hintergründe, die können vielleicht wirklich nicht ,miteinander‘ spielen. Darauf bin ich gespannt.“

Christian Marclay hat in Genf bildende Kunst studiert, wohnt seit Jahren in New York. Er selbst spielt kein Instrument. Seit über zehn Jahren ist er in der „neuen Musikszene“ aktiv, spielt mit John Zorn, Shelly Hirsch, Schweizer Jodlern und Zeena Parkins zusammen. Sein „Instrument“ ist der Plattenspieler – Schallplatten, Schellacks. Zwischen vier und hundert werden von ihm bedient – Hintergrund-Bach, Endlosrillen-Callas, Drumbeat-Samples, die Straße wird als Klangteppich zugemischt.

Marclay hat zu Punk-Zeiten seine Karriere als DJ begonnen, als Grandmaster Flash die Platten auch nicht mehr als fertiges Produkt hinnehmen wollten. Die bekannten Bezüge, greetings, das „Respekt zollen“ der HipHop-DJs, fallen jedoch weg. Seine Konzerte sind der wahre Horror für Plattenfetischisten. Da steht einer mit einem Berg von Platten hinter sich, alle ohne Hülle. Da greift er hinein, zerbricht die Scheibe, setzt eine Platte auf die andere, die Nadel stürzt von Ebene zu Ebene. Er reißt den Tonarm hin und her, scratcht, quietscht. Sein Publikum sind „Freunde guter Musik“, bei diesem Happening heißen nur die Veranstalter so. Die schwarz bevorzugenden Hemdenträger der Klasse „Avantgardemusik LiebhaberInnen“ werden sich beim Berlin Mix in lustiger Gesellschaft befinden, wenn der Gesangsverein die Gatten und Gattinnen, die Opernsängerin, die Fliegenträger und die HipHop-DJs die Naunynposse in das alte Straßenbahn- Depot mitbringen. Annette Weber

Heute um 18 Uhr im alten Straßenbahndepot, U-Bahn Turmstraße.

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