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SanssouciVorschlag

■ Tanz- und Videotheater Detektor am Halleschen Ufer

Minutenschnell vergehen die Jahre in der neuesten Produktion des Tanztheaters Detektor: „Muß der Photofreund die pralle Sonne fürchten?“ Ein Tänzer und zwei Tänzerinnen, die auch schauspielern, und ein Schauspieler, der auch tanzt, bilden die „Gruppe“, die sich trotz der rasch vergehenden Jahre immer gleich bleibt. Eigentlich sind alle sechs Jahre alt, und Xavier ist der erste, der liquidiert wurde. Er besaß Bilder von allen Spielern der Fußballnationalmannschaft und sogar ein Autogramm vom Nationaltrainer Helmut Schön. Und von seiner Frau. Das reichte, um ihn mit der Schippe zu erschlagen. „Die Gruppe bekennt sich zu seiner Liquidierung.“ Johannes ist Geisel und Sprecher zugleich (eine so schöne Geisel sahen wir lange nicht: Johannes sieht nicht nur besser aus als Schleyer seinerzeit, er verfügt auch über eine entschieden bessere Sprechtechnik) – die Handschellen hat er sich allerdings selbst angelegt. In die laufende Kamera spricht er die Stellungnahmen der Gruppe, die im Laufe der Zeit zu Stellungnahmen der Stellungnahmen werden.

Ein Spiel über Wahrnehmungstäuschungen. Zwei Monitore, links und rechts über der Bühne schwebend, zeigen, zeitverschoben und durch Verlangsamung verfremdet, Sequenzen des Bühnengeschehens, auf einem auf dem Bühnenboden stehenden Monitor ist die Direktübertragung zu sehen. Während Johannes vor der Kamera von der Liquidierung Xaviers spricht, steht dieser daneben und klopft sich stolz auf die Brust. Der Realitätsproduktionsmaschine TV ist nicht zu trauen. Die Handlung kreist um sich selbst: Mit leichten Verschiebungen wiederholen sich Vorgänge und Bewegungsabläufe. Das ist auf Dauer nur ermüdend. Johannes wird immer wieder vor die Kamera geholt, mit einem Handtuch abgewischt und spricht seinen Text: Stellungnahmen der Gruppen oder Versicherungen, daß er nicht gefoltert werde. „One, two, three, four – freedom“ grölt es punkig aus den Boxen, und die drei Tänzer formieren sich zum immer gleichen, diagonal die Bühne durchstürmenden Bewegungsablauf.

Eine Spannung zwischen den Tänzern und den Videobildern wird nicht sichtbar – dazu sind die Tänzer zu ausdrucksschwach, so wird das Spiel mit den Monitoren zum harmlosen modernistischen Gag. Das weite Feld zwischen Terrorismus, Medienhysterie und obskurer Alltagswelt bleibt in einer Weise diffus, die offensichtlich assoziationsmächtig sein soll und doch in der Banalität steckenbleibt. Die Avantgardegruppe Detektor um den Regisseur Mark Johnson und die Choreographin Frauke Havemann hat in früheren Produktionen weit intelligenter und ästhetisch überzeugender Videos und Tänzer aufeinanderkrachen lassen. Michaela Schlagenwerth

Detektor: „Muß der Photofreund die pralle Sonne fürchten?“, 3.–8.8., 20 Uhr, Theater am Halleschen Ufer 32, Kreuzberg

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