Sanssouci: Vorschlag
■ Rock against War – Bands aus dem ehemaligen Jugoslawien
Es ist schon seltsam, wenn Rock 'n' Roll die Welt retten muß, doch neben „Rimtutki Tuti“, einer Musiker-Initiative aus serbischen, kroatischen und bosnischen Gruppen wirkt jedes sonstige Band-Aid wie ein Adventssingen. Seit der Auflösung Jugoslawiens und der anschließenden Fortsetzung der Politik mit den Mitteln des Krieges ist einer ganzen Nation Jugendlicher der Groove verlorengegangen, der seit den achtziger Jahren die treibende Kraft im Ostblock-Rock war. Die Glanzzeit des balkanischen Rock 'n' Roll geht auf „Novi Val“, den New Wave der Post- Tito-Ära zurück, als Kellercombos in Ljubljana oder Zagreb die erste eigenständige Jugendkultur in Jugoslawien prägten, ohne sich allzuweit aus dem derweil offenen Fenster nach Westen zu lehnen. Statt dessen wurde mit Folk, Punk, Metal, Reggae und Komsomolzen-Glamour experimentiert: Die serbischen Elektricni Orgazam aus Belgrad spielten düstere Elektropopschlager, die bosnische Antwort auf den New Wave in den anderen Teilen der Republik hieß Zabranjeno Pusenje und konterte mit „Novi Primitivizam“, Rock an der Basis, im Überbau Kunst, Performance und Film. Dialektik – frei von Hegel, doch dafür tanzbar.
Zehn Jahre später singen die Neoprimitiven aus Sarajevo zwar noch immer von Anarchie, doch es klingt desillusioniert – fast alle jugoslawischen Bands hat die Mobilmachung kalt erwischt. War die Zeit nach Tito von Hedonismus und der musikerüblichen Apathie gegenüber der Gesellschaftstheorie geprägt, so sind seit der Belagerung von Bosnien-Herzegowina die Vorzeichen vollkommen anders. Man singt nicht mehr aus Trotz, man sucht verzweifelt nach Anschluß. Doch das Publikum stirbt aus. Andererseits geschehen im selben Moment kleine Wunder, und zum Konzert der punkrockenden serbischen Partibrejkers reisen Busladungen von Fans aus Kroatien der Band ins unabhängige Slowenien nach – solange das Benzin nicht wegen neuer Panzereinsätze rationiert wird.
Da die Nische immer mehr einer geschlossenen Zelle gleichkam, hat die bis dato eher still vor sich hin individuierende Musikszene letztes Jahr die Initiative gegen den Großmachtswahnsinn des Milošević-Regimes ergriffen – egal ob serbischer Beatnik, kroatischer Schwermetaller oder Weltmusiker aus Bosnien. Unter dem Slogan „Mir, Brate, Mir“ (Friede, Bruder, Friede) sang im Sommer 1992 eine All-Star-Band auf Open-airs vor bis zu 50.000 Belgrader Zuschauern für einen Frieden, von dem das Land auch ein Jahr danach weit entfernt ist. Wenn man aber bedenkt, daß sich während des serbischen Marsches gegen Kroatien reihenweise Bands im bedrängten Zagreb für einen Sampler mit patriotischen Songs gewinnen ließen, dann sind die gemeinsamen Aktionen ein ungeheuer wagemutiger Schritt angesichts der zerfahrenen Lage: „Wir müssen nicht alle Fehler der anderen Seite wiederholen“, erklärt Petar Janjatović vom Studio B92, dem unabhängigen Fernsehsender Belgrads. An der musikalischen Einstellung hat sich indes nichts geändert, mit den Sex-Pistols-ähnlichen Partibrejkers und dem Garage-Punk-Crossover von Let 3 aus Kroatien soll trotz des Anliegens die Party neben dem guten Willen nicht zu kurz kommen. Schließlich hat Pop eine unerhörte Tradition, bei den ebenfalls auftretenden Vjestice schimmern sogar die verblichenen Police in ihrer Hochblüte durch. Schade nur, daß man alle diese Gruppen erst jetzt und unter solchen Umständen hierzulande kennenlernt. Harald Fricke
Ko To Tamo Pjeva? mit Ekaterina Velika, Elektricni Orgazam, Let 3, Partibrejkers, Vjetice und Zabranjeno Pusenje ab 19 Uhr in der Kulturbrauerei, Schönhauser Allee 36–39.
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