Sanssouci: Vorschlag
■ Alphabetisierungskampagnen: Eine internationale Plakatausstellung
Abb.: Katalog
1 out of 5 American adults can't read this word: AMERICA. Ein Manko von nicht allzu großer Tragweite, stünde hinter diesem Slogan zum nationalen Buchstabencode nicht ein weltumspannendes Problem: der Analphabetismus. 50 von insgesamt über 1.000 mit Hilfe der Unesco gesammelte Plakate zum Thema hat das Gleichstellungsamt Berlin-Mitte zu einer Ausstellung zusammengefügt, die die verschiedenen Facetten der illiteracy beleuchtet. Allein in Deutschland leben nach Erhebungen der Unesco etwa vier Millionen Menschen, deren Probleme mit Lesen und Schreiben so gravierend sind, daß sie nicht ohne weiteres am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Schließlich geht es nicht nur ums bloße abecedieren. Die Unfähigkeit, Telefonnummern herauszusuchen, Verträge zu lesen oder gar komplexere Texte zu verstehen, hat Auswirkungen auf das gesamte Persönlichkeitsbild. Analphabeten in überwiegend alphabetisierten Ländern entwickeln zumeist defensive, von Ausreden geprägte Verhaltensmuster, wenn sie ihrer etwaigen Demaskierung nicht durch systematischen Rückzug gleich ganz aus dem Weg gehen. Andersartige Schwierigkeiten verbinden sich mit der Alphabetisierung in solchen Ländern, wo zumindest die Landbevölkerung noch vorwiegend mündlichen Traditionen verhaftet ist. Das zeigen etwa die Beispiele aus dem nachrevolutionären Afghanistan oder Nicaragua zur ideologischen Komponente der Alphabetisierung. Motto: „Die Faust nach oben! Das Buch geöffnet!“. Trotz dieser auf die Dauer ermüdenden Lesehaltung brachte es die nicaraguanische Kampagne zu phänomenalen Ergebnissen. Der Anteil der Lese- und Schreibunkundigen wurde innerhalb von nur sechs Monaten von 50 auf 13 Prozent gesenkt.
Neben emanzipatorisch motivierten Bildern zur Frauenalphabetisierung – weltweit nur jeder fünfte Mann, aber jede dritte Frau gehören zu den Betroffenen – stehen vor allem pädagogische Aspekte im Vordergrund. Leicht verständliche Schautafeln zum Umgang mit verschmutztem Wasser, zur Aids- und Drogenprävention dominieren die Ausstellung, die darüber hinaus einen Überblick über die verschiedenen Ausprägungen der volkstümlichen bzw. staatskonformen Kunst bietet. Während einige vornehmlich aus den Achtzigern stammende Plakate noch im Stil des Sozialistischen Realismus für die Volksalphabetisierung werben, kommen aus Afrika naive Tuschezeichnungen und haucht ein australisches Roy-Lichtenstein-Blondie ihr poppiges „Lesen ist ersprießlicher als Brad... Seufz!“ S-e-u-f-z. Bernd Imgrund
Die Ausstellung „Welten der Wörter“ läuft noch bis zum 20. September im 4. Stock des Berolina-Hauses, Alexanderplatz 1, Mitte, Mo.–Fr. 8–18 Uhr, Eintritt frei.
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