Sanssouci: Vorschlag
■ James McClure bei den Freunden der Italienischen Oper
Roy liebt sein pinkfarbenes 1959er Thunderbird Cabriolet. Und er liebt seine Frau Elizabeth. Die aber hat in der letzten Zeit nicht allzu viel davon gemerkt. Denn Roy hat mit dem amerikanischsten aller Traumata zu kämpfen: Vietnam. Seit er vor zwei Jahren in seine Heimat Texas zurückgekehrt ist, läuft er vor sich selbst davon. Ganze Tage und Nächte verbringt er in der Angel's Bar und läßt sich mit „Lone Star“ zulaufen, dem „Schultheiss aus San Antonio“, wie die englischsprachige Theatergruppe Out to Lunch auf einem beigelegten Vokabel-Sheet erläutert.
„Laundry and Lone Star“ von James McClure beleuchtet einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben „ganz normaler Leute“, wie sie in Texas und vielleicht auch – mit anderen Grundvoraussetzungen – in Neukölln zu finden sind. Die Bühne von Almut Iser ist strikt zweigeteilt, nur durch einen Verandazaun getrennt, findet auf der einen Seite das nächtliche, alkoholselige Leben der Männer statt, auf der anderen sorgen und ärgern sich die Frauen. Doch nur für uns Zuschauer erscheinen beide Ebenen nah beieinander, tatsächlich haben sich die Geschlechter (nicht nur räumlich) weit voneinander entfernt. Greifbar realistisch hat Regisseur Simon Newby-Koschwitz die Rollen erarbeiten lassen. Brutal, abstoßend und archaisch kommt zunächst die Männergesellschaft daher, deren zentrale Figur Roy (Jerold James Gordon) ein dumpfer, biergeschwängerter Raufbold ist. Währenddessen plaudert Elizabeth (Mary Steinborn) mit ihrer Freundin Hattie (Fiona Sullivan) munter auf der heimischen Veranda über so elementare Dinge wie Wäsche waschen, Kinder hüten und Schwiegermütter beruhigen.
Noch hält das Ensemble eine Distanz aufrecht, die komisch ist, voll ausgestellter Plakativität – und so amerikanisch, wie Amerikaner nur in der Provinz sein können. Doch schleichend verebben die Lacher. Roy muß in dieser Nacht erfahren, daß seine zwei großen Lieben „benutzt“ wurden: Elizabeth hatte ein Verhältnis mit seinem Bruder Ray, dem Roy nie ganz verziehen hat, daß er aufgrund einer Kniescheibenverletzung nicht nach Vietnam mußte; und sein geliebter pinkfarbener Thunderbird, Statussymbol und Ersatz für Selbstbewußtsein, ist fahrlässig zu Schrott gefahren worden. Aber Roy lernt diese Nacht auch zu verzeihen: In einer dunklen Ecke kotzt er buchstäblich all seine Wut (und cirka 20 Flaschen „Lone Star“) aus sich heraus.
Das Ensemble von Out to Lunch hat sich über die Jahre hinweg zu einem Geheimtip für amerikanische, hierzulande weniger bekannte Stücke gemausert. Mit Feingefühl und viel Liebe für verkorkste Charaktere gelingt ihnen auch hier wieder ein präzises, gesellschaftliches Psychogramm, das keine Vorablösung parat hat, sondern sich auf Ursachensuche begibt. Anja Poschen
Donnerstag bis Montag, jeweils 20.30 Uhr bei den Freunden der Italienischen Oper, Fidicinstr. 40.
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