Sanssouci: Vorschlag
■ The Almighty im Loft
Aaah, zurücklehnen. Wer hätte jemals gedacht, daß bei einer Heavy-Metal-Platte plötzlich ein dringendes Ohrensessel-Bedürfnis in einem hochkommt? Einfach die Beine hochlegen, den bratzenden Gitarren lauschen, das feinnervige Solo bewundern, das hübsch ziselierte Intro bestaunen, das Booklet aufschlagen und in den Texten schmökern – vielleicht sollte ich mir demnächst wieder einen dieser riesigen Kopfhörer kaufen, zwischen denen nur mehr die Nasenspitze rausguckt, den gläsernen Ständer in Kopfform inklusive.
Wobei das allerdings nicht eigentlich an The Almighty und ihrer CD „Powertrippin'“ liegt. Eher schon an der galoppierenden Entwicklung im Metal. Und dies ja nicht nur in puncto Geschwindigkeit, sondern auch bezogen auf die vielen kleinen netten Stileinflüsse, denen sich die vormals gerne und allgemein als so konservativ verschrieenen Metalliker inzwischen freizügig öffnen. Im Universum von The Almighty hat sich aber seit zwanzig Jahren bestenfalls die Produktionstechnik weiterentwickelt. Zum Vergleich kann jeder seine alten Deep-Purple-Platten rausholen, die Beine hochlegen (s.o.) und feststellen, daß so viel Zeit an keiner Musik einfach spurlos vorbeigehen kann – auch wenn die Soli inzwischen entschieden kürzer geworden sind.
Und dann kann man The Almighty ganz einfach klassisch nennen. Keine Tricks, keine Witze, keine hintergründigen Texte, kein Firlefanz, keine Samples, kein Rap. Einfach zwei Gitarren, ein Baß, ein Schlagzeug, eine Stimme, hin und wieder unterstützt von Backgroundgesang. Mal ist es schneller, aber ganz bestimmt kein Death, mal klingt es böser, aber hat sicherlich nichts Doomiges. Vor 15, ja selbst noch vor fünf Jahren wären sie eine unter vielen Bands gewesen. Vielleicht schlechter, vielleicht besser, aber ganz bestimmt nicht so auffällig wie derzeit, weil sich die Schotten in einem Genre, das ins Stolpern gekommen und schon vom eigenen Innovationsrausch überholt worden ist, auf die alten Werte und solides Handwerk verlassen. Und das hat bekanntermaßen vor allem in Zeiten der Rezession goldenen Boden.
Wer sich schon mal gewundert hat, daß The Almighty geradezu frech offensiv von MTV in den Kanal gedrückt werden, der soll noch erfahren, daß Vanessa Warwick, ihres Zeichens Moderatorin von „Headbanger's Ball“, nicht nur zufällig denselben Namen wie Almighty-Sänger Ricky Warwick trägt. Dieser Trauschein mag den Schotten ein wenig an street credibility gekostet haben, aber die kostenlose Werbung für ihren Klassik-Rock macht das ganz sicher wieder wett. Thomas Winkler
Heute um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
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