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SanssouciVorschlag

■ Cut im Ex und Pop

Seltsam, wie wenig Klarheit sich manchmal aus der Reduktion ergeben kann. Bei Cut spielen zwar nur Schlagzeug und Gitarre nebeneinanderher, aber dabei türmen sich ungeheure Widersprüche und Verschlungenheiten auf, die mehr Chaos in Melodieschema und Taktmaß anrichten, als wenn etwa das Vienna Art Orchestra frei improvisierend um die Wette gegen den Rhythmus bläst. Da aber auch Unordnung gelernt sein will, hat das grobkantig werkelnde Duo eine entsprechend lange Vorgeschichte. Jason Kahn saß in den achtziger Jahren bei Trotsky Icepick hinter den Trommeln, einer aus dem Stammbaum des kalifornischen SST-Label geschnitzten Band. Doch zwischen lauter Black Flags, Hüsker Düs und Minutemens waren die Trotzkisten für damalige Verhältnisse auf dem amerikanischen Independent-Sektor einen Tick zu poppig und unterhaltsam und entsprachen nicht dem Bild vom Musiker als Künstler.

Das änderte sich rasch: Kahn wurde seines Instrumentes immer mächtiger und schlüpfte beim Universal Congress Of unter die Fittiche des Mexican-Jazz-Gitarristen Joe Baiza. Die Spex bildete Legenden und erzählte Geschichten von der schier unbegrenzten schlagzeugerischen Detailarbeit Kahns, für die ihm angeblich schon einmal Neider nach einem Konzert die Finger hatten brechen wollen. Währenddessen fiel der Universal Congress während einer Deutschlandtournee auseinander, und Kahn blieb ebenso wie Baiza – auf der Suche nach artverwandten Hardlinern mit Schwerpunkt Jazz.

Szenenwechsel: Hannover 1988. Aus Punkgruppen der zweiten Generation entwickelt sich ein Hardcorehausen mit Crossoverbands wie Militant Mothers und Geteilte Köpfe, letztere mit Birger Löhl an der Gitarre. Trotz der Vorschußlorbeeren verflüchtigte sich der Trend in Richtung Amerika, und für Geteilte Köpfe blieb nur die undankbare Aufgabe eines Opening-Acts für politisch korrekte Indie-Größen aus Übersee wie NoMeansNo. Doch als würde die Entwicklung vom Underground zum Mainstream einmal mehr gegen den Strich gebürstet, landet Kahn 1991 für eine Tour als trommelnder Gast in Löhls Band.

Mittlerweile sind beide in Berlin zu einem Duo geschrumpft, das die takttechnischen Vorzüge des Jazz mit der spitzen Aggressivität von Thrash-Gitarrenarbeit verbindet. Melodische Songs werden daraus nur selten, eher Fragmente, kurze Miniatur-Spielereien und unfertiges Skizzenmaterial, in dem sich vor allem eine Kluft im Zusammenklang der Instrumente auftut. Nichts ist dazwischen, kein Feedback oder Verstärkerrauschen, mit dem etwa Caspar Brötzmann immer wieder Brücken zum Begleitschlagwerk von F.M. Einheit schlägt. Bei Cut ergeben sich dagegen Gemeinsamkeiten entweder im Laufe der Spielzeit, oder die Überschneidungen finden ganz woanders statt – zum Beispiel in ihrer Vorliebe für die zerklüfteten Blues-Sprünge eines Captain Beefheart oder den minimalistischen Sprachwitz á la Mike Watt, des verstorbenen Sängers der frühen Minutemen. Schließlich geht der Bandname auf einen seiner Texte von 1983 zurück, und das verpflichtet: „Big scissors, Cut, Cut Loose, Cut“. So hört es sich auch an. Harald Fricke

Heute, 23 Uhr im Ex'n'Pop, Mansteinstr. 14, Schöneberg, am 7.11. um 15 Uhr, Galerie Endart, Oranienstraße 36, Kreuzberg

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