Sanssouci: Vorschlag
■ Berlin Independence Days (BID): Der erste Tag
Es ist wieder soweit: Vier Tage lang kann man sich nicht entscheiden, welches Konzert man lieber sehen möchte. Vier Tage lang Ärger, daß die besten Sachen immer parallel laufen. Und vier Tage lang wundert man sich über das lethargische Fachpublikum, das teilweise mit Aktenkoffer unterm Arm dem potentiellen nächsten Verkaufserfolg lauscht. Sie haben es erraten: Einmal werden wir noch wach, und die Berlin Independence Days finden wieder statt. Bei über den Daumen gepeilt 130 Live-Auftritten von Bands, Projekten und DJs auf 14 Bühnen bleibt der Überblick von vorneherein verwehrt, deshalb nur einige wenige Tips für den Donnerstag, den ersten Tag der BID.
Den ersten Abend in Huxley's Neuer Welt eröffnen die Berliner Crunchmuthas mit altmodischem, nichtsdestotrotz hübsch- melodiösem Metal (21 Uhr). Es folgen Bivouac, ihres Zeichens die neuen Lieblinge der britischen Indie-Charts, die ohne Probleme folkigen Pop und böse grummelnden Hardrock auf einer Single unterbringen (22 Uhr). Mit den folgenden Killdozer hat sich eine Legende des Ami-Hardcore nach drei Jahren Pause teilweise wieder zusammengefunden. Neu dabei ein angeblich griechischer Gitarrist, der sich allerdings in das Schaben, das Killdozer schon immer auszeichnete, vorzüglich einfügt (23.15 Uhr). Der Höhepunkt dann nach Mitternacht: Alice Dounut sind die momentan vielleicht beste Polit-Band des weißen, US-amerikanischen Underground. Das vor allem deshalb, weil sie nach anfänglichen Jazz-Noise-Experimenten zu einer eingängigeren Spielweise gefunden haben, ohne ihre Vergangenheit zu verleugnen. Sie haben eher den englischen, subversiven Ansatz von Pop als U-Boot im Business adaptiert, der Ernsthaftigkeit tschüs gesagt, aber sind doch immer noch eindeutig Amis geblieben. Drei Gesichter des Punkrock dagegen im K.O.B. Eher traditionalistisch verarbeiten Popkiller die Vergangenheit, was schlicht heißt: schneller, härter, lauter als 1977, aber nicht großartig anders. Das Amphetamine Reptile-Label soll interessiert an den Bremern sein, und das wäre sicher schön für beide Seiten (21.30 Uhr). Die Moonlizzards können das zwar auch, haben aber eine nicht zu verheimlichende Schwäche für Pop, was vielen wieder zu eingängig sein dürfte, aber Krach macht's trotzdem (23 Uhr). Danach dann die Tradition selbst. Chaos UK heißen nicht nur so, wie Punkbands früher hießen, sie sind auch seit mehr als zehn Jahren eine (0.30 Uhr).
Die dunklen Seiten bietet der Knaack. Dort gibt sich an zwei Abenden die Klinke in die Hand, was weiß, wie ein Friedhof nachts aussieht. Am Donnerstag üben sich die ersten drei Kapellen eher am altmodischen, aber handwerklich korrekten Nackenhaaraufstellen per Gitarre. Doch nach Secret Discovery aus Bochum (21 Uhr), Angina Pectoris (22 Uhr), Blessing in Disguise (23 Uhr) folgen mit Printed At Bismarck's Death (0 Uhr) Deutschlands deutscheste Elektro-Gruften. Aus Ernst wird in diesem Genre zwar allzuleicht Lächerlichkeit, doch hier sollten die Grenzen nur selten überschritten werden. Thomas Winkler
Am Donnerstag in Huxley's Neuer Welt (Hasenheide 108–114, Kreuzberg), K.O.B. (Potsdamer Straße 157, Schöneberg) und Knaack (Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg).
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