Sanssouci: Vorschlag
■ Buffalo Tom und Bettie Severt im Loft
Tja, was macht er denn nun eigentlich, der große, schlaffe und rechtzeitig vorgealterte J. Mascis? Der Mann sitzt auf seinem Sofa in Little Amherst, Massachusetts, und sitzt und sitzt. Und wenn er nicht gerade auf die Mattscheibe starrt, denkt er vielleicht darüber nach, welchen Musikern er als Produzent, Drummer, Bassist, Gitarrist usw. schon so alles unter die Arme gegriffen hat. Dann fallen ihm sicher auch Buffalo Tom ein, seine ehemals kleinen Brüder im (Gitarren-)Geiste. Diese hatten ihn 1988 gebeten, die Produktionsregler für ihre erste Platte zu bedienen, eine Selbstverständlichkeit für alle Beteiligten, hatte man doch schon gemeinsam im Sandkasten gespielt.
Buffalo Tom schlugen mit der Platte ziemlich groß ein, viele liebten, einige verehrten sie sogar, und auch die entsprechenden musikalischen Schubladen waren rasch gefunden. Schließlich stand man zu dieser Zeit besonders auf unprätentiöse und vor allem laute Dreierformationen aus Boston und Umgebung, Dinosaur Jr. waren noch nicht Crazy Horses, und die Lemonheads tourten noch mit den Hardcorern von Bullet La Volta durch Europa. So waren auch Buffalo Tom kurzzeitig mal die „beste Band der Welt“, legten mit „Birdbrain“ gleich noch eine adäquate zweite Platte nach und hatten in der Folgezeit hauptsächlich damit zu tun, den langen Schatten von J. Mascis abzustreifen.
Das ist nun endlich erreicht, denn bei ihrem neuesten Album kann keine Rede mehr von einer Bostoner Ahnenreihe sein. Mit „Big Red Letter Day“ haben Buffalo Tom sich ihre Eigenständigkeit geschaffen und ein ganz gutes Rockalbum gemacht, das besonders der Langeweile ein paar neue Aspekte abringt. Die Band hat weder rohe noch spontane, weder laute noch fette Momente an ihren Gitarren gelassen, suhlt sich wohlig in gepflegten Tönen und betrachtet selbstgefällig ihr plötzlich unaufgeregtes Rock-Dasein. Und was früher glaubhaft herübergebrachte Melancholie und Traurigkeit war, ist jetzt der Harmonie und größeren Abgeklärtheit zwangsverpflichtet. Gefühle als Mittel zum Zweck, wohldosiert und hochglanzverpackt.
Buffalo Tom machen 1993 eine Musik, die rein gar nichts mehr will, keine Strukturen mehr aufbricht, geschweige denn etwas Neues erschafft, Blutarmut rules Boston. Natürlich kann man sich mit „Big Red Letter Day“ immer noch elegant und gedankenlos die kalten Nachmittage vertreiben, auch mal den Abwasch erledigen oder sich ganz lieb eine gute Nacht wünschen. Und natürlich darf man auch heute abend ruhig mal ein Bier trinken gehen und Buffalo Tom live angucken. Gerrit Bartels
Heute, 20.30 Uhr mit Bettie Severt im Loft, Nollendorfplatz.
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