Sanssouci: Nachschlag
■ Eva-Maria Hagen im Maxim-Gorki-Theater
Am Ende wäre Eva-Maria Hagen beinahe über einen Kontrabaß gesegelt. Es blieb aber beim Stolpern, sie verlor den Zopfhalter und freute sich: Konzert erfolgreich vorbei. Dabei sah das Ganze zunächst nach einer Zitterpartie aus. Frau Hagen war so aufgeregt, daß ihre Ansage baltischer Lieder und dieselben dann erst mal merkwürdig verhalten klangen: je höher die Melodie, je zarter das Lied, desto dünner die Stimme. Aber ob aufgeregt oder nicht – Waldmägdeleingesänge sind ohnehin nicht gerade Hagens Spezialität. Hexen und bäurische Diven dagegen singt und spielt sie großartig: auftrumpfend derb, ein bißchen ironisch und mit weitausladenden Bewegungen. Wenn nötig, schielt sie auch, um beispielsweise den jeweiligen Liebsten zu imitieren, der manchmal stinkt. Macht alles nichts: „Kuschlig ist mein liebster Kerl“, heißt das finnische Lied in der Übertragung von Wolf Biermann.
In der ersten Hälfte ihres Programms „Honig für mein Bärchen“ stellt Eva-Maria Hagen Volkslieder aus Finnland, Estland, Lettland, Litauen vor: sogenannte Dainas, von Frauen geschrieben und tradiert. Für den zweiten Teil wechselt sie das Kleid, steht ganz in Rot auf der Bühne und singt jiddische Lieder. Kongenial begleitet wird sie dabei von drei Musikanten. Thomas Gramatzki hat den Bläserpart übernommen; Henning Kiehn steht scheinbar völlig unberührt am Kontrabaß; und am Klavier sitzt Siegfried Gerlich und gibt ab und an Einsätze.
Der jiddische Teil des Programms folgt der Einsicht, daß die besten Lieder lustig und traurig sind. Hagen hat unter anderem das berühmte „Es brennt“ von Mordechaj Gebirtig ausgewählt und ein Kabarett-Lied aus dem Wilnaer Ghetto: „Wir leben ewig – es brennt 'ne Welt.“ Sie singt ohne die gewohnte Theatralik, trocken, aber nahe am Schrei, und damit nach dem Ghettolied keiner klatschen kann, setzt sie ein Traditional hinterher. Und dann wieder lustige Lieder, vom Glück und vom Lieben – und von schönen, derben Menschen. Friederike Freier
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