Sanssouci: Nachschlag
■ Gregor Weber mit einer Butoh-Performance im Kato
Das Wort Tanz, so lehrt es das etymologische Wörterbuch, taucht im Deutschen als höfisches Modewort des Rittertums um 1200 auf und ist, so empfiehlt es das Wörterbuch, von „danzetare“ abzuleiten, was soviel heißt wie sich auf einer Tenne (beim Dreschen) belustigen. Ein weites Feld der Assoziationen eröffnet sich da, aber darauf soll hier nicht näher eingegangen werden. Der Tanz selbst, soviel steht fest, ist älter als das Wort. Im traditionsreichen Japan haben sich Tanzformen erhalten, die tiefer in die Geschichte herabreichen. Tanz heißt dort „odori“ oder „mai“. Man kann schnell, übermütig und virtuos tanzen, aber auch gemächlich und würdevoll – das Wort „mai“ steht grundsätzlich für die zweite Möglichkeit. Und das ist eine Vorstellung vom Tanz, die es so in unseren Breitengraden nicht gibt. Japanischer Tanz meint nicht unbedingt Bewegung und vielleicht sogar schnelle Bewegung und hat mit irgendwelchen Vergnügungen auf einer Tenne wenig zu tun. So kann zehn Minuten lang nur Unmerkliches geschehen: ein Versetzen des Fußes oder eine Drehung der Schulter. Japanischer Tanz kommt mit einem Minimum an Fläche aus, da sich der Körper beim Tanz nicht streckt, sondern – so erzählen es die Mythen – vor dem Angesicht der zuschauenden Götter und Ahnen möglichst klein zu machen sucht.
Wie sehr sich das westliche Tanzverständnis vor allem durch die zunehmende Popularität des in den sechziger Jahren in Japan „erfundenen“ Butoh-Tanzes (der Tradition und Avantgarde verbindet) verändert hat, ist nicht abschätzbar. Für viele westliche Tänzer ist Japan inzwischen zu einer Art Mekka geworden, und so mancher der dort Hingereisten ist dort geblieben. So auch Gregor Weber, der sich seit vier Jahren mit Butoh beschäftigt, seit drei Jahren in Tokio lebt und zur Zeit seine erste selbstproduzierte Butoh-Performance, „Dreaming Body and Memory“ im Kato vorstellt. Daß der direkteste Einfluß nicht unbedingt der beste ist, zeigt sich hier. Gregor Weber gelingen poetische Momente: In einer Rückenansicht verschiebt er seine Muskulatur auf eine Weise ineinander, die den Eindruck eines zarten Frauenkörpers entstehen läßt. In der (eindrucksvollen) Anfangssequenz schleudert er seine Gliedmaßen in die Höhe und läßt sie wieder auf den Boden knallen, als gäbe es kein Bewußtsein, keinen Willen, der die Bewegung steuert. Selbst der aufrechte Gang scheint hier nicht mehr als ein energetisches Mißverständnis. Gregor Weber vermischt gekonnt pantomimische Bewegungselemente mit denen des Butoh, dennoch bleibt der Abend insgesamt im Plakativen. So sind die Mühen, eine Parkbank zu erobern, weder Slapstick, noch sind sie existenziell, nicht Vergnügen auf der Tenne und nicht Transzendenz. Michaela Schlagenwerth
Noch heute um 20 Uhr im Kato, im U-Bahnhof Schlesisches Tor, Kreuzberg.
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