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SanssouciNachschlag

■ Vortrag über Gewalt

„Blut ist ein besonderer Saft.“ Wolf-Dieter Narr schöpft aus dem Fundus Goethescher Zitate. Mal anschaulich, mal distanziert will er in ein Thema einsteigen, das allzuoft als Spielwiese verbalistischen Schattenboxens konkurrierender Disziplinen herhalten muß: „Gewalt in den Großstädten“. Das Phänomen sei weder mit psychologischem noch mit „geosozialwissenschaftlichem“ Determinismus erklärbar, unterstreicht der Politologe. Schließlich werden nicht alle Bewohner des Märkischen oder Mahrzahn-Viertels zu Totschlägern. Und die Täter von Solingen sind ebenfalls nicht von schlechten Eltern. Wie läßt sich über Gewalt reden? Am besten gar nicht, suggeriert der Urania-Ankündigungstext: „Prof. Narr wird mit seinem Vorschlag in das Dickicht großstädtischer Gewalt einige klärende Schneisen schlagen und mit seinen Hörern diskutieren, was man dagegen unternehmen kann.“ Die Hilflosigkeit steht schon im Programm.

Der gebürtige Schwabe balanciert zwischen populistischem Plauderton und akademischer Arithmetik. Er erinnert an patriarchale Machtstrukturen, an Prügelstrafen und systemgebackene Arbeitslosigkeit und erteilt all denen eine Absage, die Gewalttaten als neues Phänomen, als Rattenschwanz von Mauerfall und Einwanderungen begreifen. Keile gab es immer schon. Neu sei lediglich die Sensibilisierung für Aggressionen und die Sorge um die eigene „Versehrtheit“. Neben das zweite Schloß an der Wohnungstür wird also ein drittes geschraubt. Der staatlicherseits betriebenen Kriminalisierung einzelner zieht Narr einen städtebaulichen Ansatz vor: Der soziale Morast im „Dickicht der Städte“ könne durch eine nischenreichere Architektur trockengelegt werden. Mehrspurige Straßen wirken wie Ghetto-Schlagbäume, ausgelöschte Zentren knebeln die Kommunikation. Bei dem Gedanken an die Gestaltung des Potsdamer Platzes befällt den Redner der blanke „Horror“. Konkrete Gegenvorschläge bleiben jedoch aus. Das Säckl mit den heilsbringenden städteplanerischen Innovationen hat er lieber zu Hause gelassen. Enttäuschte Mienen bei den 60 ZuhörerInnen. „Sie sind doch Prof, Sie müssen wissen, was man machen soll“, ruft jemand. „Es gibt vernünftige Konzepte“, Narr zuckt mit den Achseln, „aber keinen, mit denen man sie durchsetzen könnte.“ Birgit Glombitza

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