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SanssouciNachschlag

■ Philip Ridleys zweites Stück im Stükke-Theater

Jung sein, schön sein, ewig begehrlich sein, davon träumen wir runzlig Einsamen doch alle, ganz besonders Cougar Glass. Deswegen zwängt er sich tagtäglich in Röhrenjeans und Cowboystiefel, versteckt die faltigen Augen hinter einer dunklen, vermutlich sportlichen Sonnenbrille, zupft widerspenstige graue Härchen aus und brät die Haut unter der Höhensonne knusprig braun. Jetzt kann zum 16. Mal sein 19. Geburtstag gefeiert werden. Traditionell soll während der Party ein Knabe, der einzige Gast, verführt werden. Diesmal läuft alles schief. Cougars Lebensgefährte, Captain Tick, räumt nicht zum verabredeten Stichwort das Feld. Und das Opfer, der 16jährige Foxtrot, bringt als Überraschung seine schwangere Freundin mit. So wandelt sich die erhoffte Sexsause zum üblen Seelenstriptease, an dessen Ende eine Lebenslüge enttarnt wird: das wahre Alter des Gastgebers.

Das Theater als Ort der Lebenshilfe, statt moralischer Anstalt nur ein Kummerkasten. Der 34jährige (!) Engländer Philip Ridley ist dafür verantwortlich. Glückte ihm mit „Disney-Killer“ eine genaue Zustandsbeschreibung von Jugendlichen, die vor der Wirklichkeit in eine Traumwelt flüchten, so betätigt er sich in „Die schnellste Uhr im Universum“ nur als Dr. Sommer des Theaters. Sprechstundenthema: ein bißchen Liebe und Triebe, vor allem aber Bartwuchs, Haarwuchs und Falten. Regisseur Donald Berkenhoff ist das zu brav. Mit Mitteln der Groteske rückt er der Komödie der Gefühle auf die Pelle. Alles ist grell und laut, gelegentlich böswillig pathetisch, will hundsgemeingefährlich sein. In einem schrägen, schmalen Kasten, der schräg und schmal beleuchtet wird, kämpfen die Spieler, als befänden sie sich in einem grandiosen Kampf mit Unstücken von Alfred Jarry oder Roger Vitrac. Die Frau mimt eine rothaarige und heulende Sirene, der Knabe einen x-beinig verklemmten Collegeboy, Cougar ein Abziehbild John Travoltas. Hysterie statt Psychologie. Während im Hintergrund ein fremdartig elektronisches Vogelgezirpe ein Geheimnis vorgaukelt, müssen die Akteure zu vielen Gelegenheiten über den Boden kriechen, auf einer Leiter balancieren, Sofas hin- und herrücken oder zum flackernden Licht in Zeitlupentempo turnen. Die Theatermaschine läuft auf Hochtouren. Verschlingt alles – Stück, Schauspieler, Zuschauer – und produziert doch nur ein kleines, krachendes Nichts. PS: Die schnellste Uhr im Universum, die das Altern vergessen macht, ist natürlich... die Liiiebe! Dirk Nümann

Bis 27. 3., täglich außer Mo., 21 Uhr, Hasenheide 54, Neukölln.

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