Sanssouci: Vorschlag
■ Kunst und Sex im Schlachthofkeller
Reinhard Scheibner, o.T., 1992 Abb.: Galerie
Hartnäckig die Angst vorm Alleinsein schürend, locken die Inneneinrichtungsstudios off Alexanderplatz mit Bildern vom familiären Glück und appellieren an Urinstinkte: Von den Schaufensterauslagen her winken Vater, Mutter, Tochter und Sohn Nilpferd aus Porzellan den Passanten auf dem Fußweg zu. Gleich um die Ecke, gegenüber den S-Bahngleisen, verwandelt sich der bürgerliche Zellkern in ein bataillesches Kellergemisch, denn dort stellen Künstlerinnen und Künstler Arbeiten zum Thema „Explicit Images“ aus. Sex als kultureller Gebrauchswert, dessen Warenform doch gar nicht so richtig explizit erscheint.
Zwar gibt es eine rotleuchtende Peepshow-Installation mit echten Nackten auf brauner Wolldecke, aber das trennende Plexiglas soll gar nicht vereinzeln, sondern BesucherInnen beim Betrachten zusammenführen. Die Triebarbeit bleibt ans Gesellschaftsnetz angeschlossen, so wie sich überhaupt die Ausstellungsmacher um Interdisziplinarität in Sachen Körperkultur bemüht haben: Falk Richwiens Bondage-Maschine könnte das Pendant-Objekt zu „Alte Punker-Senioren“, einer liebevoll unreflektierten Orgienzeichnung des Altexhibitionisten Engelbert Kievernagel abgeben; die werbegrafischen Sado/Maso-Logos der S.M. van der Linden ergänzen sich mit Telefon-Sex-Annoncen von Alexander Schröder zu einem ironischen Kommentar über Wunscheinschreibungen, und die rosa-grau gemalten Geschlechtsteile Mark Hippers bilden in ihrer starren Flächigkeit mit Johannes Kahrs Portraitbildern abgestrafter Psychopathen- Jünglinge eine Einheit. Dazu der Satz: „Den Taten ging das Suchen voraus“, so wie jede Ausschweifung nur bei strenger Disziplin funktioniert. Um den Rodeo-Bock Tony Dickmanns für entsprechende Praktiken zu nutzen, müssen die Gäste nicht bloß das Turngerät rittfest beherrschen, sondern auch Erfahrung im Umgang mit der Videokamera mitbringen, die ihr Tun abfilmt. Andere Bilder sind hübsch, etwa Stefan Hoenerlohs Wohnsilos, die er, auf Hippiemädchen projiziert, abfotografiert – sehr allegorisch, ein bißchen wie Bernhard Prinz. Harald Fricke
„XXX – Explicit Images“, bis 20.2. ab 21 Uhr im Keller Neue Schönhauser 19, Zugang Dircksenstraße 43/44, Prenzlauer Berg.
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