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SanssouciNachschlag

■ "Reisen im Text": Norbert Hummelt und Ingo Jacobs in der Literatur-Werkstatt

Norbert Hummelt, Dichter in Köln, verwechselt Poesie mit Hühnervieh. In einem Parallelgedicht zu einem Text seiner Kollegin Marian Moore tauschte er „poetry“ gegen „poultry“ – und scheint auch sonst seinen Beruf nicht so ernst zu nehmen. Wie sonst könnte er Gedichte auf Zuruf verfassen, sogar unter Zeitdruck? „Minor Wiener Poems“ heißen sie und verarbeiten Stichworte, die ihm seine Freundin von ihrem ersten Wienbesuch lieferte. Klar, daß es vorwiegend um Liebe und Kulinarisches geht, etwa „WODKA-TONIC, in die BOUTEILLE geschaut/ ersetzt dir mein STREICHELN die ZIGARETTE?“

Hummelt liebt Österreich, besonders Jandl und Friederike Mayröcker und fordert mit Vorliebe Wiener Geister heraus: Er hat in aller Bescheidenheit Schuberts „Winterreise“ neu erfunden und bedient sich dafür ganz ungeniert in Wilhelm Müllers Texten (auch Hölderlin darf helfen). Spätestens hier wird es ernst: „was ich gelesen habe, habe ich gelesen. ich such im schnee vergebens nach ihrer tritte spur, maiglöckchensuche im künstlichen winter, oder winterreise als inventur: meine sprache, mein auge, mein fenster, mein platz. bei tag bei nacht zieht es mich hinaus...“ Wohin es geht, ist ungewiß; Hummelt spielt den Vagabunden, der sich schlau entzieht. „zum krebs-/gang bereit in die da weite welt,/ dann bin ich zu sehen, aber nicht zu fassen“ – weiser Scharlaten, der vielleicht sogar dem Tod gewachsen wäre (“ich freue mich auf meinen tod“), wenn er nur ein bißchen Sprache geschenkt bekommt. Vielleicht.

„Die bedeutung kommt von allein“: Mit Ingo Jacobs, seinem Kollegen aus der Kölner Autorenwerkstatt, war Norbert Hummelt am Dienstag zum vierten Abend der Reihe „Reisen im Text“ bei Elke Erb zu Gast, die ihn im Gespräch als „etwas theoriefeindlich“ vorstellte. Im Gegensatz zu Jacobs, der fürchte, „auszuarten in lange Erklärungen“. Die Sorge war grundlos; die einzigen Erklärungen des Abends, und zwar zu Schubert und Wilhelm Müller, lieferte Elke Erb, wie immer sehr liebevoll das Programm diktierend.

Aber abgesehen davon, daß beide Lyriker sich auswärts gleichermaßen lieber nach Vertrautem umschauen, hätten die Gegensätze nicht größer sein können: Während Hummelt Bilder ineinander verschränkt, gegen magisches, sprachfeindliches Weiß, unternimmt Jacobs gar nicht erst den Versuch, zusammenzuhalten, was ihm in die Hände fällt. Er vertraut einer imaginären Wortkraft: „ein Haus in Scheiben schreiben/ & benebeln, will vortäuschen:/ Trümmerlandschaft“. Was sich sonst findet, läßt er sogleich wieder fallen: „aufgelesen wort hülse phrase/ ,in mir schlägt es leck‘-/ taumel tapfer mich durch phase, /wohin die sterne fielen? & weg“. Was nicht halb so ergiebig ist wie Hummelts Sachensuchen.

„Oh, do not ask, ,What is it?‘/ Let us go and make our visit“ (T.S. Eliot), hat der seinem neusten Buch vorangestellt. Loslaufen und einsammeln. Friederike Freier

„Reisen im Text“ wieder am 11.3. um 20 Uhr mit Wulf Kirsten und Franz Hodjak in der LiteraturWerkstatt, Majakowskiring 46-48, Pankow

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