Sanssouci: Vorschlag
■ Dreyers „Gertrud“ im Arsenal als 35-mm-Kopie zu sehen
Foto: Freunde der Deutschen Kinemathek
Seit Jahren ist „Gertrud“, der letzte Film von Carl Theodor Dreyer, nicht mehr im deutschen Verleih gewesen. Nur im Rahmen von Retrospektiven des dänischen Meisterregisseurs konnte man Dreyers 1964 gedrehten Film in 16-mm-Kopien mit englischen Untertiteln sehen. Das „Arsenal“ präsentiert ihn nun in einer neuen 35-mm-Kopie mit deutschen Untertiteln.
„Gertrud“, ursprünglich ein Theaterstück, ist ein Jahrhundertwende-Melodram im saubersten Schwarzweiß. Stockholm 1907. Die sensible Heldin um die Dreißig, liebt ihren Mann nicht mehr. Denn dem ehrgeizigen Politiker, Kanning, ist die eigene Karriere wichtiger als die Liebe. Während er ihr stolz mitteilt, daß sie nun bald Ministergattin sei, schlägt sie ihm die Trennung vor. Im Park wartet Erland Jansson, ein junger aufstrebender Musiker, in den sie sich verliebt hat. Zwar küßt er sie, doch die rechte Liebe ist das nicht. Der Dichter Lidman dagegen, der aus Rom kommt, um bei einem steifen Festbankett geehrt zu werden, kann seine Ex-Geliebte nicht vergessen. Doch auch wenn er herzzerreißend heult – er bekommt sie nicht. Verschiedene Liebeskonzepte prallen also aufeinander, die alle scheitern. Emanzipiert läßt Gertrud alles hinter sich und folgt einem Freund nach Paris, um dort (bei Charcot?) Psychologie zu studieren. Ihre Pariser Zeit schildert Dreyer nicht. Statt dessen sieht man sie am Ende (40 Jahre später) in ihrer standesgemäßen Wohnung mit Diener melancholisch auf ihr Leben zurückschauen.
1964 bei seiner Pariser Uraufführung enttäuschte der Film die Dreyerfans. Zu altmodisch schien sein Sujet. Daran hat sich sicher nichts geändert. Zwar leidet man immer noch und sicher nicht weniger an den Komplikationen der Liebe; allein ein wortreicher Ausdruck dieser Leiden ist in Film und Kunst inzwischen völlig passé. Lieber zeigt man Leute, die ihre Macken aktiv bis heldisch ausagieren; oder binochemäßig bedeutsam schweigen, um Tiefe zu suggerieren. Doch die inhaltliche Ebene ist nur ein Weg, der die Bilder und Wörter miteinander verbindet. „Gertrud“ besticht vor allem durch eine musikalische Abstraktheit, die in ihrer Kargheit am ehesten mit den Fallbeschreibungen (der Literatur) Freuds vergleichbar ist. Keines der Worte, die bedeutsam durch kleine Pausen voneinander abgesetzt sind, kein Bild ist hier überflüssig. Alles verweist restlos aufeinander. (Das mag auch eine Schwäche des Films sein, der jeden Luxus und Mehrwert protestantisch-geizig vermeidet.) Detlef Kuhlbrodt
Heute bis 22.3., 20 Uhr, Arsenal, Welserstraße 25, Schöneberg. Am 20.3. wird Kameramann Henning Bendtsen anwesend sein.
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