Sanssouci: Vorschlag
■ Mit geringen Mitteln sehr präzise: Horovitz' „Der Indianer will zur Bronx“ vom Türkischen Kulturensemble
„Sie nix englisch?“ Ein gleichermaßen hilfloses wie demütiges Lächeln ist die einzige Reaktion des Angesprochenen, seine Schultern sind hochgezogen, die Bewegungen vorsichtig. Murph macht drei Schritte vorwärts und brüllt seine Frage, als würde sie dadurch für den Fremdsprachigen verständlicher. Vielleicht ist dieser dumme Irrglaube der Anfang von Haß – für eine Verständigung reichen Sprachversatzstücke und Lautstärke jedenfalls nicht aus; die Kommunikation auf der „Diyalog“-Bühne ist in jeder Hinsicht gestört. Die hyperaggressive Körpersprache der beiden Jugendlichen Murph (Yüksel Yolcu) und Joey (Jaime Mican) ist für den „Indianer“ (Gültekin Ipek) selbst dann eine Bedrohung, wenn sie ihn mit Worten beruhigen wollen.
In Israel Horovitz' Stück „Der Indianer will zur Bronx“ treffen zwei New Yorker Jungs an einer einsamen Bushaltestelle auf „den Indianer“ – im amerikanischen Original ein Inder, in der Inszenierung des Türkischen Kulturensembles jedoch ein Türke. Die Begegnung wird für den Türken, der sich in New York verlaufen hat, zur physischen und psychischen Tortur: Er wird erst gehänselt, dann bedroht, getreten, zwischendurch „getröstet“, schließlich zusammengeschlagen. Einfach so. Murph und Joey sind an der Schwelle zum Erwachsenwerden, doch von der Unschuld haben sie längst Abschied genommen. Sie sind Verlorene mit einem letzten Restchen Herz. Sie rauchen, prahlen mit ihren Sexabenteuern, fluchen auf ihre Betreuerin „Pussyface“ vom Sozialamt, „pieken“ kleine Kinder mit dem Butterflymesser an – und haben doch kindische Flausen im Kopf und die Hosen voll, wenn sie nicht pünktlich zu Hause sein können.
Dieser Schwellentanz ist eine präzise psychologische Detailstudie der Regie und eine wunderbare Leistung der beiden jungen Schauspieler. Sie tragen das Lächeln der Bösartigkeit und zeigen, wie Murph und Joey ihrer Angst wegen immer schon „vorher“ zuschlagen müssen. Aber sie zeigen auch die nette Seite: Mit hinreißender Komik demonstriert beispielsweise Yüksel Yolcu, ganz „frecher Junge“, mit Comiczitaten, wie er auf Geheiß seiner Sozialarbeiterin Weihnachtskarten „bastelte“ und dafür seinen nackten Hintern fotokopierte. Alles Spaß, alles Spiel – und gerade deshalb so grausam. Mit geringsten Mitteln, einem feinen Gespür für die labilen Gemütsverfassungen Jugendlicher und einer genauen Sicht auf rassistische Aggression ist dies eine Aufführung, die sehr gut mit den raffinierten Effekten des gleichen Stücks am carrousel Theater mithalten kann. Petra Brändle
Bis 17.4. 1994, Fr./Sa., 20 Uhr, So. 18 Uhr, Diyalog, Oranienstraße 34, Kreuzberg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen