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SanssouciVorschlag

■ Voodo-Boogie: Dr.John, das wandelnde Lexikon aus New Orleans, im Tempodrom / Nachschlag: Frauenfiguren bei Shakespeare - Christine Marx und Klaus Nothnagel bei Mutzek & Mutzek

„Weihnachten 1961, wir hatten einen Gig in Florida. Unser Pianist Ronnie Barron war verschwunden. Ich entdeckte ihn im Hotel, wo ihn der Besitzer mit einer Pistole bedrohte. Ich ging dazwischen, drückte die Hand gegen die Wand. Dabei löste sich ein Schuß. Ein Finger meiner linken Hand hing herunter. In dem Moment, als es geknallt hatte, sah ich nicht nur mein Leben dahinschwinden, sondern auch meine Karriere als Gitarrist.“ Eine von zahllosen Anekdoten der druckfrischen, überaus amüsanten Autobiographie „Under A Hoodoo Moon“ von Mac Rebennack alias Dr. John, dem wandelnden Lexikon aus New Orleans.

1942 nahm ihn seine Mutter zu Fotomodellterminen als „Ivory Snow“-Baby mit: „Ich bekam eine Sozialversicherungsnummer, bevor ich ein Jahr alt war.“ Mit vierzehn hatte Mac in seiner Heimatstadt seinen ersten Termin als Begleitgitarrist für eine Plattenaufnahme. Bis zu jenem fatalen Schuß profilierte sich der bleichgesichtige Junge zu einem der vielseitigsten und kreativsten Musiker, Arrangeure und Komponisten auf Dutzenden von Singles von schwarzen Rhythm-&-Blues-Sängern. Der Finger ist wieder angenäht, Mac lernte Klavier- und Orgelspielen, begleitete Stripperinnen und Transvestiten auf der Bourbon Street, oft zwölf Stunden ohne Pausen. „Ich nahm Drogen, nicht weil ich dadurch auf eine höhere Ebene schweben wollte. Drogen helfen Musikern, eine Mauer zu bauen zwischen sich und einem Publikum, das sich besäuft und verprügelt.“ Bis 1963 der prüde Distriktsstaatsanwalt Garrison in einer Säuberungskampagne die meisten Clubs im French Quarter schließen ließ. Hunderte von Musikern waren plötzlich arbeitslos, es folgte ein Exodus nach Los Angeles. Mac bekam wegen der Drogen eine Zwangspause im Knast verpaßt. Dort, aber auch schon zuvor, beschäftigte er sich mit Voodoo-Zauber. In L.A. kreierte er sein Alter ego „Dr. John The Night Tripper“, wurde 1968 mit dem Album „Gris- gris“ zum Guru der psychedelischen Hippieszene. Image und Name blieben haften. Seither verzierte er Hunderte von Platten prominenter Kollegen mit seinem rollenden Piano. „Viele entstanden aber auch nach dem Prinzip: schnell aufnehmen, raus aus dem Studio und vergessen. Das war Geld für die Schulausbildung meiner Tochter.“ Er selbst blieb seinen Rhythm-&-Blues-Wurzeln aus New Orleans immer eng verbunden. „Gumbo“, „In A Sentimental Mood“, „Dr. John Plays Mac Rebennack“ und „Goin' Back To New Orleans“ sind seine schönsten Alben, gehören zu den besten in der Popmusik der letzten zwanzig Jahre. Mit meist etwas heiserer Stimme verleiht er selbst alten Popballaden eine originelle Tönung. Richtig blüht Dr. John im Konzert auf, wo er das Programm selbst bestimmt. Da reiht er die New-Orleans-Klassiker „Iko Iko“ und „Tipitina“ nahtlos zwischen seine Hits „Right Place Wrong Time“ und „Such A Night“ ein. Und als Doctor wird er natürlich „Rockin' Pneumonia & Boogie Woogie Flu“ diagnostizieren: ansteckend zum Mitwippen und Tanzen. Norbert Hess

Heute, 22 Uhr im Tempodrom. In den Zelten, Tiergarten.

NachschlagFrauenfiguren bei Shakespeare – Christine Marx und Klaus Nothnagel bei Mutzek & Mutzek

Phoebe zerreißt es fast in der Luft. Zornig stampft sie auf, donnert die Schuhe in die Ecke, rauft das Haar, heult und greint. Ihr Ärger gilt ihr selbst: Sie ist verliebt, der Geliebte jedoch verhöhnt ihre Liebe. Seine Komplimente sind für Phoebe Beleidigungen, die ihr glatt die Sprache verschlagen. Diesem wortlosen Mißstand soll, und da weicht die Raserei einem kühlen Racheplan, ein Brief voller Sticheleien abhelfen. Und Schnitt. Christine Marx beläßt es bei diesem temperamentvollen Auftakt zum wahnwitzigen Wortgefecht. Gleich darauf ist sie altjüngferlich der Liebe abhold oder voller Liebe in abgründigem Wahn verschwunden. Sie spielt Ophelia als kleines Vögelchen mit piepsender Stimme: verloren, aus dem Nest gefallen. Und doch ist ihre tiefe Liebe für Hamlet klar und jeden Moment zu spüren.

Zusammen mit Komponist und Pianist Klaus Nothnagel hat die Schauspielerin einen Shakespeare-Abend mit 16 Frauen-Monologen, Sonetten und Liedern aus der Zeit Shakespeares zusammengestellt. Die Liebe ist das große Motiv des Abends, doch nichts ist so vielfältig und kompliziert wie dieses Gefühl – zumal bei Shakespeare: „Blind fool love!“ Ein Abend zum Schwelgen. Bereits der Prolog stellt die Verliebten mit Verrückten – bezüglich der Raumtemperatur im Oberstübchen – auf eine Stufe. Trotz dieses Gefühlsgalopps aber ist die Aufführung pur zu nennen. Sparsam sind ihre Mittel, sie setzt allein auf die Kraft und Melodie der teilweise neu übersetzten Shakespeare-Texte sowie auf die beeindruckende schauspielerische Leistung von Christine Marx. Unprätentiös und einfach, ja fast derb singt sie auch, unterstützt von der Lagerfeuer-Stimme Nothnagels. Das ist englisch- ländlich und klingt sehr nach Stratford-upon-Avon.

Optische Reize indes bietet, und auch das macht den Abend attraktiv, die Galerie Mutzek & Mutzek. Die Räume der gekachelten ehemaligen Fleischerei sind bereits eine Ausstellung für sich, doch findet sich hier auch eine kleine Ausstellung mit Drucken, Malerei und Souvenirs (Zitat-Aufkleber und -Buttons) zum Thema „Shakespeare“ von Judith Euringer, Kathrin Schädlich und Astrid Küver. Aus dem Kontext eines großen Bremer Shakespeare-Projekts gerissen, wirken die Exponate leider etwas verloren, und Buttons – selbst mit Hamlets Frage nach Sein oder Nichtsein – haben einfach das Verfallsdatum überschritten. Petra Brändle

Noch bis 22.5., 21 Uhr, Galerie Mutzek & Mutzek, Invalidenstraße 21, Mitte.

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