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SanssouciNachschlag

■ Laurie Anderson las, sang und jamte in der Passionskirche

Daß ihr Auftritt ausgerechnet in einer Kirche stattfand, habe sie schon ein bißchen verwirrt, bekannte Laurie Anderson kurz nach der Show: „Aber schlimm ist es nicht gewesen.“ Und flugs erzählt sie noch einen Witz über die Vorteile der Kreuzigung im Gegensatz zu den Methoden des Alten Testaments. Denn hätte man Jesus gesteinigt, müßten die Gläubigen heute vor ihrem Gott einen Veitstanz aufführen – gerade so wie jene, die vor heranfliegenden Steinen auszuweichen versuchen. Lou Reed rutscht währenddessen unwohl auf seinem Schemel oben in der Kanzel hin und her. Vielleicht kannte er die Geschichte schon.

Aber auch mit den Nachteilen der Kirche hatte man zu kämpfen. Gleich zu Beginn verloren sich Teile der Akustik in der Kuppel der Passionskirche, vor allem der Vocoder grummelte auf den oberen Rängen mehr, als daß man im synthetischen Raunen die heruntergesetzte Stimme der Sängerin hätte ausmachen können. Statt Sprache fiepste einsam und klar zunächst nur das Flageolett einer zum schmalen Steg mutierten elektrischen Geige, die Anderson mal strich oder mit den Fingern zupfte – und das knarrende Holz der Dielen unter den Schritten einiger unentwegter Wanderer, die nicht einmal einen Platz auf der Balustrade gefunden hatten und nun auf der Suche nach einem letzten Stuhl traurig knirschend durch die Kirche geisterten.

Die ersten Textbrocken zumindest paßten zum Ort. Laurie Anderson, eigentlich Performance-Künstlerin aus New York und eher zufällig Anfang der achtziger Jahre mit „Oh Superman“ auf den Popmarkt und in die Charts gerutscht, las aus ihrem neuen Buch eine Stelle über das Ende der Welt vor. Von der bibellesenden Großmutter war die Rede, und per Knopfdruck mischten sich immer wieder fremdartige Engelsschreie aus der Elektronik unter die Stimme. Großmutter habe sich ihr Lebtag lang vor der Apokalypse gefürchtet und wäre deshalb gerne zum sanfteren Buddhismus übergewechselt. Doch dessen Lehren wären der frommen Frau dann noch viel unheimlicher vorgekommen, zumal in der japanischen Fassung. Für kurze Zeit habe sie sich durch Handzeichen im Zwiegespräch mit dem fernen Gott verständigt, bis die leserfreundliche Bibel sie schließlich heimholte in den Schoß der Kirche des Weltuntergangs. Laurie Anderson geht es mit der Religion ähnlich – auch sie folgt lieber sprechenden Schlangen und Vögeln, als sich von deren Wiedergeburten ködern zu lassen. Nur bei den Balinesen zögert sie einen Moment, weil ihr das Bild vom Tod dort gefällt: „Die Seele ist ein Vogel, und wenn der Körper verfällt, wird die Seele flügge.“

Mittlerweile hat die knapp 44jährige, jugendlich zerzauste Anderson ihr Publikum eingewickelt in ein Gewaber aus digitalen Herzschlägen, gurrenden Ambientsounds und Ganz-Körper- Brummen. Die Bässe kribbeln wie Borkenkäfer im Holzfurnier, kein Beat stört in der Stille zwischen zwei Textpassagen. Das Erzählprinzip ist einfach, Laurie Anderson schnappt eine Begebenheit aus ihrem Alltag als reisende Künstlerin von Welt auf und bildet Assoziationsketten, bis die Story irgendwo zwischen Weltall und gewaltigen Medienapparaten endet – etwa auf dem Flughafen von Tel Aviv, wo sie im Golfkrieg ihr gesamtes elektronisches Gepäck am Zoll auspacken mußte. Die Security fand's musikalischerseits irgendwie unnütz, konnte sich aber für die Technologie begeistern. Und für Anderson bestätigt die Kontrolle, daß Künstler die besten Undercoveragenten sind, ganz in der Tradition von W. S. Burroughs „Naked Lunch“.

Häufig mahnend: Laurie Anderson. Foto: R. Owsnitzki

Jede Geschichte eine Ellipse: Ein Besuch in Mexiko 1974 bei ihrem Anthropologen-Bruder bringt sie mit der Kultur der Mayas in Berührung, die sie prompt entzivilisieren und mit neuem Namen versehen – als „Frau mit den zwei Juwelen“. Damit ist das Leuchten ihrer Kontaktlinsen gemeint, ohne die sie von der Kultur der „anderen“ nichts mitbekommen würde. Der Blick der Ausgeschlossenen wird zum Spiegel für den symbolischen Eintritt in die fremde Gesellschaft. Wie in „Short Cuts“ verzahnen solche Geschichten kleine Anwesenheiten überall dort, wo ein Gott im Verborgenen Fäden zieht. Das mag ironisch klingen, doch selbst in der Übertreibung sind die Allegorien ans Jenseits geklammert. Die letzte Frage unter der Gasmaske lautet auch bei Anderson „Do you really love me?“, und am Ende bleibt eine flehende Bitte bestehen: „Speak my language.“ Sprache ist nicht mehr Virus, sondern Mittler from outer space. Ein Engel eben. Natürlich muß ein solcherart heilswandlerisch animiertes Publikum aus dem Häuschen geraten, wenn Anderson mehr in einem Nebensatz Lou Reed auf die Bühne zitiert. Man wäre sich vor kurzem zufällig in München begegnet und habe auch sonst einige Gemeinsamkeiten aus den Sixties herübergerettet. So holt Lou die Gitarre aus dem Koffer und improvisiert ein heilloses Barré- Akkord-Geschrammel mit Laurie an der Violine – ohne Gesang, nur zum Spaß, als kleine Geste. Die Stars sind umgänglich geworden, einfach und nett. Harald Fricke

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