Sanssouci: Vorschlag
■ Spaziergang am Rande der Schlagerwelt: Rosenstolz im Kesselhaus der KulturBrauerei
Sie, Sängerin Anna R., wechselt von Song zu Song die Rollen, ist eine erlebnishungrige, junge Traumtänzerin, angehende Diva mit extravagantem Kopfschmuck, bekennende Schlampe oder männerverschlingender Vamp. Ihre Stimme rast ungebremst durch die Gefühlslandschaft, sie trällert, tremoliert, schmachtet und scheut weder Schnulzen noch pathetische Gesten. Er, Komponist, Tastenspezialist, Arrangeur und Teilzeitsänger Peter Plate, liefert dazu das jeweils maßgeschneiderte musikalische Kostüm. Mit charmanter Gelassenheit bedient er sein Keyboard, wird nur ab und an bei selbstgesungenen Songs reichlich romantisch und ist ansonsten der ruhende Pol auf der Bühne, der nötige Kontrast zum wirbelnden Vokalderwisch Anna R.
Die beiden, vor einigen Jahren als Duo Rosenstolz angetreten, Erotik und Emotion in den deutsch gesungenen Pop zurückzubringen, gehen mit ihrem Programm am Rande der Schlagerwelt spazieren und sind dennoch weit entfernt von der dumpfen Plattheit dieser Gefilde. Sehnsuchtsvolle Heuler an den Traummann brechen sich an Domina-Songs mit Titeln wie „Ich bin die Dame von der Akademie“, der ironische Blick auf Geschlechterrollen und Gesellschaftsspiele löst hochprozentig melancholische Liebeslieder ab. Ob Chanson, Ballade, Popsong oder Rockstück, immer ist ein wenig Varieté dabei, ein Hauch Theater und eine umwerfende Energie.
Um die musikalische Ebene zu komplettieren, hat sich das Mondän-Pop-Duo Verstärkung geholt, Schlagzeug, Gitarre und Saxophon erweitern den Stimmungskosmos und nehmen den zusätzlichen synthetischen Klängen ihre ehemalige Vorreiterrolle. Nun hat Anna R. vier Männer um sich herum, die ihrer Stimme instrumental schmeicheln, Bläser Jonas Gottfriedsen kommt neben Peter Plate dabei eine besondere Rolle zu. Seine sensible Art der Begleitung und die zurückhaltend-statische Bühnenpräsenz verstärken die Live-Wirkung der Vokalistin. Heftig tobt „Die Frau, vor der man warnt“, durchs Programm und läßt nur ab und an ein leicht verzögertes „Dankeschön“ mit inszeniertem Lidaufschlag ins Publikum fallen – seltsamerweise bringt diese, wie unabsichtlich eingestreute Geste den Saal immer wieder in Wallung. Anna-Bianca Krause
Konzert- und CD-Präsentation heute, 22 Uhr im Kesselhaus der KulturBrauerei, Knaack-/Ecke Dimitroffstraße, Prenzlauer Berg.
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