Sanssouci: Nachschlag
■ Ernst-Toller-Doppel- Projekt im bat-Studiotheater
Thomas Rühmann und Herbert Sand in „Der entfesselte Wotan“ Foto: Thomas Aurin
Zwei lächerliche Heilandsfiguren: Hinkemann, der entmannt aus dem Krieg zurückkehrte und seitdem von nichts anderem spricht als seiner seelischen Nacktheit, der sich auf dem Jahrmarkt ausstellt als Kraftmensch, Ratten zerbeißt, sich innerlich selbst zerfleischt und sich schließlich in Einsamkeit erhebt – und Wilhelm Dietrich Wotan, ein größenwahnsinniger Friseur, der sich mittels Bluff und zweier Helfershelfer zum Führer der Nation stilisiert und der Welt die Schuld gibt, als der Schwindel auffliegt. Schmerzensmann und verkannter Seligkeitsspender. Ernst Tollers Sympathie galt dem, der durch fremde Schuld ins Elend geriet. Deshalb nannte er „Hinkemann“ auch eine Tragödie, und „Der entfesselte Wotan“ geriet zur Komödie. Beide Stücke schrieb er in den fünf Jahren Festungshaft, zu denen er nach dem Zusammenbruch der Münchener Räterepublik verurteilt wurde. Vom Jammerspiel (1921/22) zur Satire gegen den völkischen Wahnsinn (1923).
Zwei Regiestudentinnen der Ernst-Busch-Schule haben die Toller-Stücke als Doppelprojekt im bat-Studiotheater inszeniert und die zwiefach expressionistisch dräuende Anklage in zwei 90minütige wundervoll deutliche und kein bißchen verstaubte Aufführungen übersetzt. Wie die Schauspieler, die aus den verschiedensten Ensembles zwischen Dresden und Schwerin stammen, in beiden Fällen in Rhythmus und Haltung zusammengeführt wurden, ist enorm. Claudia Bosse machte aus „Hinkemann“ geradezu ein Volksstück von Horváthschem Zuschnitt. Der spröde Vorzeigerealismus, mit dem hier gespielt wird, läßt die emotional überladene Geschichte wirklich traurig werden in ihrer Banalität – kein Seelendrama, sondern ein Gesellschaftsstück.
Nur mit einem Goldlamé-Slip bekleidet, posiert Christian Maria Goebel als Hinkemann auf einem Jahrmarktspodest, als ihn seine Frau Grete (Susanna Kraus) entdeckt. Eben noch konnte sie ihr neues erotisches Glück mit Hinkemanns Freund Paul Großhahn (Stephan Baumecker) nicht fassen und turnte mit ihm auf der großen geschwungenen Holzrutschbahn von Cornelia Adis herum. Jetzt befällt sie ein ganz sachlicher Ekel vor sich selbst, und ohne Bedauern glaubt sie, ihre Bestimmung erkannt zu haben: Hinkemann reuig zu dienen. Eine Lebensunfähige auch sie – wie überhaupt alle: Justus Carrière als Sozialist Michel Beschwert und Armin Zarbock als Anarchist Max Knatsch schwanken im synchronen Seemannsschritt durch die Kneipe, als Hinkemann fragt, wo in ihrer parolenhaft proklamierten Gesellschaftsutopie denn ein Glücksplatz für einen sein könnte, der „innen“ krank sei. Irgendwann läuft Hinkemann schließlich ganz nackt über einen imaginären Strich – und hört dann auf, sich mit seinem Selbstmitleid zu prostituieren.
Hinter den Spiegeln und nach der Pause nimmt der Ausverkauf von Persönlichkeit mit der Eleganz des Kostüms wieder zu. In „Der entfesselte Wotan“ entfesselt Eva Jankowski wirklich eine rasante Führer-Farce, die nie ihre Gefährlichkeit verliert, weil sie die krass überzeichneten Figuren völlig ernst nimmt. „Ich höre immer Drosseln schlagen“, sagt Wotan, und seine Frau Marie kontert: „Du irrst dich, die Hühner gackern.“ Herbert Sand von der Volksbühne als Wotan ist eine Idealbesetzung. Schwarz perückt mit einer bis zum Kinn reichenden Hitlertolle, changiert er zwischen kindlich-feister Muffigkeit und kichernder Dämonie, die sich zur manischen, aber auch in der Ekstase noch beherrschten Demagogie steigert, bis er wieder Kind wird und unter den Rock seines Mariechens (Birgit Schneider) kriecht, die Wotan zwischenzeitlich wegen einer lüsternen und begüterten Salonlöwin verlassen hat. Auch Thomas Rühmann vom Maxim Gorki Theater beherrscht die konzentrierte Klamotte vollendet. Als Prokuristencharge und fanatischer Königsmacher Schleim bewegt er sich korrekt schlängelnd über die Bühne und schafft es, den Körper stets leicht gekrümmt zu halten und gerade dadurch hochnäsig zu wirken: der Prototyp eines Trittbrettverbrechers.
Zeigt Bosse im Kleine-Leute-Stück „Hinkemann“, wie Gewalt aus sozialer und/oder körperlicher Impotenz entsteht, so zieht Jankowski fröhlich über den entgeisteten Wahn der Oberschicht nach Führung her: genau skizzierte Chargen machen Wotan ihre Aufwartung, der eine Schwindelgesellschaft für Brasilienauswanderer gegründet hat. Die Regisseurin jongliert mit filmischen und musikalischen Mitteln, zieht zahlreiche Register szenischer Komik und läßt den politischen Holzhammer zu Hause: daß das Volk den Kaiser stürzt, als es seine Nacktheit entdeckt, entspricht nicht dem Fortlauf der deutschen Geschichte, aber es war eine Utopie von 1923, und genau so zeigt sie es – ohne Zeitbezug – auch heute. Petra Kohse
Weitere Vorstellungen: morgen sowie am 2., 6. und 26.6., 19.30 Uhr, Belforter Straße 15, Prenzlauer Berg.
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