Sanssouci: Nachschlag
■ Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ im Kammermusiksaal
Strawinsky, in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg von Geldnöten geplagt, beschloß, mit einigen Freunden eine Wanderbühne zu gründen, und setzte dafür die „Geschichte vom Soldaten“ in Noten und Szene. Das Thema der auserwählten Märchenvorlage lag nicht weit: Geld und Kunst schließlich waren es, was Strawinsky und seine Freunde in diesen Tagen bewegte: so wie einem armen kleinen geigenden Soldaten vom Teufel seine Geige gegen Reichtum abgeschwatzt wird, wird ein jeder, der leichtfertig seine Kunst in Geld verwandelt, letztlich in den Fängen des Teufels landen. Als wollten sie sich selber bestätigen, daß ihre Situation, wo nicht schön, so doch moralisch integer war.
Mitglieder der Berliner Philharmoniker stellten Samstag abend im Kammersaal der Philharmonie das Stück für Pantomime, Tanz, Erzähler und sieben Instrumente in ihrer Version vor und ließen sich einige Besonderheiten einfallen. Der Soldat wird gespielt von Kolja Blacher, seit kurzer Zeit Konzertmeister der Philharmoniker, und muß so seine üppigen Geigenpartien nicht pantomimisch zu Playback aus dem Ensemble mimen, sondern darf sie selber spielen. Die Auswirkungen aber sind verheerend. Denn da man sich einerseits um die Geige eines Konzertmeisters nicht mit dem Teufel streiten und das Instrument dabei in die Ecke werfen, auf den Boden fallen lassen oder mit Wein begießen kann, mußte die Geige gedoubelt werden; und da andererseits der Konzertmeister zwar überzeugend in der Lage ist, des Soldaten Geigenpart zu intonieren, nicht aber diesen auswendig zu lernen, durfte sich der Rest des darstellenden Ensembles damit beschäftigen, herunterfallenden oder verblätterten Noten hinterherzuspringen (Otto Sander als Erzähler), ihm als Notenpult dienen (Nino Sandow als Teufel) oder ihn gar als tanzendes Notenpult begleiten (Sasha Waltz als Prinzessin). Daß sich zu solch einem Akt auch noch eine junge Regisseuse (Christina Friedrich) fand, deren Aufgabe in nicht viel mehr bestand, als des Konzertmeisters schauspielerische Ambitionen gepaart mit seinem Bedürfnis nach Noten irgendwie szenisch zu rechtfertigen, spricht wohl dafür, daß diese Dame ihre Kunst bereits gegen Geld eingetauscht hat. Und die Schlußszene ließ sich Kolja Blacher auch nicht entgehen und verpatzte gar noch den Ausgang der Geschichte, in der eigentlich der Teufel den Soldaten heim in die Hölle geigt. Das kann einem Geiger freilich nicht passen, der lieber im Kegelscheinwerfer den Teufel aus der Szene geigt.
In der ersten Hälfte des Konzertes aber hatten die Mitglieder der Philharmoniker getan, was sie besser können (nämlich musizieren), und zwei Stücke junger Berliner Komponisten aufgeführt. Als technisch versierte und klangsensible Tonsetzerin konnte sich Charlotte Seithers mit ihrem „Objet diaphane“ vorstellen, wogegen Art-Oliver Simons Stück „Violation“ etwas in allzusehr bekannte Neue-Musik-Vokabeln glitt. Fred Freytag
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