piwik no script img

SanssouciNachschlag

■ "Der Wunderheiler" von Brian Friel im Theaterdock

Aberarder, Aberayron, Llangranog, Llangurig, Abergorlech, Abergynolwyn, Llandefeilog, Llanerchymedd. Keltische Namen von Dörfern, durch die der Wunderheiler gezogen ist. In einem magischen Singsang aus diesen Namen beschwören Francis und Gracie und Teddy die Vergangenheit. Llanblethian, das ist der Erfolg. Norfolk: das Elend. Kinlochbervie: der Tod. Und Donegal in Irland bezeichnet einen fremden, namenlosen Schrecken. Eigentlich besteht Brian Friels existentialistisches Drama „Der Wunderheiler“ aus drei langen, aufeinanderfolgenden Monologen. Diese sperrige Form löst Thomas Borgmeyers Inszenierung in kürzere, geschickt miteinander verzahnte Textbrocken auf. So wird das Lesedrama spielbar, und gleichzeitig treten die Widersprüche zwischen den drei Berichten deutlicher hervor. Denn einig sind sich die Figuren nur über die Stationen ihrer Reise. Jeder Bericht relativiert den vorhergehenden, eine endgültige Wahrheit gibt es nicht.

Hemd und Mantel dick mit Erde beschmiert, in zerbeulten Hosen und mit entrücktem Blick präsentiert sich Jean-Theo Jost als Wunderheiler Frank – ein Retter und Zerstörer, von Selbstzweifeln geplagt, todessüchtig. Wenn er nicht selber spricht, kauert er auf einem Erdhaufen im Bühnenhintergrund. Die ganze Bühne ist mit Torf bedeckt, den Gracie (Carmen Rau) immer wieder geistesabwesend zwischen den Fingern zerkrümelt. Weil sie eine Frau ist, die zu sehr liebt, zeigt ihr betont souveränes Auftreten immer wieder Risse. Auch ihr Kostüm, das am Anfang noch elegant und gepflegt aussieht, wird nach und nach fleckig und unansehnlich wie ihr zerschlissenes rotes Sesselchen. Nur Teddy bleibt unbefleckt wie der Kühlschrank, in dem er sein Bier lagert. Denn wie sich am Ende herausstellt, ist er der einzige von den dreien, der noch nicht unter der Erde liegt. Teddys rauhe Schale eines Kerls, der großspurig daherschwadroniert und mit beiden Beinen im Leben steht, paßt Andreas Müller zwar nicht so ganz, denn dazu sieht der Schauspieler einfach zu studiert aus.Um so nuancierter und einfühlsamer zeigt er die versteckten Jean-Theo Jost und Tobias Müller Foto: Thomas Aurin

Verletzungen, die Sensibilität der Figur. Leider ist das Stück trotz vieler Kürzungen für die derzeit herrschenden Temperaturen immer noch zu lang. Aber wenn unter den Plastiksitzen im Theaterdock Schweißrinnen angebracht wären, läge dort die Sauna mit dem besten Kulturprogramm in Berlin. Miriam Hoffmeyer

Bis 28.8., Do-So, 20 Uhr, Theaterdock in der Kulturfabrik, Lehrter Straße 35, Moabit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen