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■ Nicht für grobe Klötze. Tschingis-Aitmatow-Verfilmungen

Tschingis Aitmatow war beim schulpflichtigen Teil der DDR- Bevölkerung mit dem Fluch der Unbeliebtheit geschlagen. Seine Erzählung „Djamila“ war nämlich, leider, leider, Pflichtlektüre für die 15- und 16jährigen. Totinterpretiert, in nach Einsern strebenden Aufsätzen ideologisierend vermanscht und als Zeugnis der „befreundeten Bruderkultur“ ins Abstrakte entrückt, bot sie kaum Anreiz zur Neugier. Die wertvollste Errungenschaft der Revolution sind für Aitmatow „die neuen Menschen, von ihr geformt und erzogen, der Kampf härtete sie, führte sie zu bewußtem Schaffen...“, so wurde noch 1985 doziert, als Perestroika immerhin keine unbekannte Vokabel mehr war. Durch solche Sprechblasen fühlte man sich schon von vornherein pappesatt. Und das war schade.

Denn der Kirgise Aitmatow hat laut Aragon die „schönste Liebesgeschichte der Welt“ geschrieben, und wir können dem nur zustimmen. Irgendwann im dritten Kriegsjahr 1943 beginnt Djamila, vom Vater ohne viel Federlesens früh verheiratet, ihr Mann ist an der Front, Danijar zu lieben. Die stolze Frau kann und will diese Liebe nicht unterdücken, ein lebensgefährlicher Skandal. Die Russin Irina Poplawskaja hat das schmale Büchlein 1969 verfilmt („Sehnsucht nach Djamila“), und sie war keineswegs die einzige, die über Aitmatows sehnsuchtslastige, latent melancholische Werke von Herzen geweint hat. Es sind fast durchweg mythenreiche Geschichten über sogenannte einfache Menschen, Steppenbewohner, die gegen herrschende Archaismen in Dörfern und Familien oder Selbstverrat nichts weniger als ihre individuelle Würde zu bewahren suchen, eine – wieder leider, leider – als altmodisch geltende Angelegenheit. Das Haus der Kulturen der Welt hat sich der Sache angenommen und eine kleine, erlesene Reihe von Aitmatow-Verfilmungen zusammengestellt, in der nichts, aber auch gar nichts Wichtiges fehlt. Begonnen wurde schon am Sonntag mit einem sensiblen Porträt Tschingis Aitmatows, den Spielfilmen „Der weiße Dampfer“ von Regisseur Bolot Schamschijew und „Hitze“ der – einzig zutreffendes Attribut – genialen Ukrainierin Larissa Schepitko. Aber trösten Sie sich, denn es gibt noch einige Delikatessen anzuschauen.

Aitmatows Leben ist schnell erzählt. Er wurde 1928 in Scheker, Kirgisien, als Sohn eines Angestellten und späteren Parteiarbeiters geboren. „Scheker ist mein Grundkapital, vieles andere aber sind außerhalb erworbene Mittel“, sagte Aitmatow später, als er bereits von Interview zu Interview hetzte. Der Vater wurde 1937 während der stalinistischen Verfolgungen hingerichtet. Sozialistische Lexika euphemisieren das als ein „Leiden“ unter der Verfolgung. Aitmatow studierte selbst Landwirtschaft und später, so ging das eben im Sozialismus, als man noch diplomierter Dichter oder Popstar war, Literatur am legendären Gorki-Institut in Moskau. Sein Literaturpreise aufzuzählen wäre ein endloses Unterfangen und vermutlich auch ein bißchen langweilig. Zuletzt saß der Autor als Botschafter Rußlands in Luxemburg.

Aitmatows Einfluß auf die junge Generation der Filmemacher war enorm; es gab kaum einen von Rang und Namen, der nicht auf die Vorlagen des Kirgisen zurückgegriffen hat. Woran das lag, ist leicht einzusehen. Aitmatows Romane und Erzählungen bündelten Mythos, Märchen und vertrauten Alltag untendenziös im individuellen Schicksal. Der Kern, oft die Entscheidung zwischen der Anpassung an eine repressive Norm und der idealistischen fundierten Integrität, ließ sich filmisch konkret umsetzen, aber auch symbolisch und systemkritisch verallgemeinern. Aitmatow war keiner jener öden Pädagogen-Schriftsteller, er begleitete seine Figuren sanft und mitfühlend, aber nicht undistanziert. Seine Bücher bedienten intelligent und – kaum beschreibbar – poetisch eine von übermäßig didaktischer sozialistischer Literatur vernachlässigte Gefühlsebene, ohne in Sentimentalität zu ersaufen. Der sittliche Anspruch, überhaupt etwas Grundsätzliches in der russischen und sowjetischen Literatur, ist bei Aitmatow einer auf individuelles Glück.

„Der erste Lehrer“ beispielsweise wurde 1965 von Andrej Michalkow-Kontschalowski verfilmt, der es in den Achtzigern als Exilant in Hollywood zu mäßiger Berühmtheit brachte. Der erste Lehrer ist ein junger Mann, der jeden Morgen von Haus zu Haus geht, um die Kinder zur Schule abzuholen. Im Winter trägt er sie sogar durch einen eisigen Fluß. Warum? Nun, Djuischen ist der erste Lehrer in der Geschichte des Dorfes; die Ankunft des Neuen in Form von Schule und Bildung ist unerwünscht, wird beargwöhnt, verbissen bekämpft. Fast so bekannt wie „Sehnsucht nach Djamila“, wenigstens dem Titel nach, ist „Abschied von Gülsary“ (1969, R.: Sergej Urussewski, einer der berühmtesten sowjetischen Kameramänner). Der alte Hirte Tanibai ist mit seinem ebenso alten Pferd Gülsary auf dem Heimweg in die Berge; Erinnerungen und die herbe Wehmut des Endes einer langen Vertrautheit durchwehen achtzig wunderschöne Minuten. Man möchte über die Unwiderruflichkeit des nahenden Todes weinen, und wenn das jemandem uncool vorkommt, so ist der Betreffende einfach ein grober Klotz.

Wie in Tanibai trotz harter Schicksalsschläge und verzwickter Konflikte immerfort das Gute reifte, das hat natürlich etwas Märchenhaftes (man kann es auch mit dem anrüchigen Wort „utopisch“ belegen), bestärkt aber andererseits das nun mal existierende Verlangen nach dem Guten, Wahren, Aufrichtigen in Symbiose mit einem subtilen Innenleben. Der „ganze Mensch“, wir möchten um Himmels willen nicht „ganzheitlich“ schreiben, bei Aitmatow wird er glaubwürdig entworfen, und in den Verfilmungen gewinnt er eine adäquate Bildkraft. Die ist sehr genau, karg und schön, gleichermaßen seltsam fremd und vertraut – ganz wie unser besseres Selbst. Anke Westphal

Filme nach Tschingis Aitmatow im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten. Donnerstag, 18 Uhr: „Der erste Lehrer“, 20 Uhr: „Sehnsucht nach Djamila“. Am Sonntag, 18 Uhr: „Abschied von Gülsary“, 20 Uhr: „Frühe Kraniche“.

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