Sanssouci: Vorschlag
■ Johann Kresniks „Frida Kahlo“ in der Volksbühne
Dem Tier hörig Foto: David Baltzer/Sequenz
Nach dem Vier-Stunden-Langweiler „Boris Godunow“, der die Volksbühnen-Spielzeit 94/95 am Rosa-Luxemburg-Platz eröffnete, konnte es ja nur besser werden. Drei Tage später geschehen Zeichen und kleine Wunder. Johann Kresnik, der potentielle PDS-Wähler und österreichische Neuberliner, hat mit seiner Hommage an die mexikanische Malerin Frida Kahlo ein Schmuckstück präsentiert. Ein sakrales und schwüles, sinnliches und sarkastisches, mit Kratzern hier und da. Aber es funkelt. Kresnik hat ein Faible für starke Frauen, die die Welt bewegten. Rosa Luxemburg hat er tanzen lassen und Ulrike Meinhof. Und jedesmal kam eine Liebeserklärung dabei heraus. Verquaste Liebeserklärungen, denn zu einer richtigen Bewunderung hat sich der kleine Kresnik nie durchringen können. Frida Kahlo indes läßt er leben, daß es eine Freude ist. Obwohl ihr Leben doch ein einziger Alptraum war. Ein schwerer Unfall fesselte sie oft monatelang ans Bett, mit 47 Jahren verließ sie diese Welt.
In Kresniks „Frida Kahlo“ spielt ein rotes Holzbett die Hauptrolle, rot wie Blut. Es ist Metapher für den Tod wie fürs Leben. Doktoren gruppieren sich herum, und Freskenmaler Diego, den sie und der sie animalisch liebt, kommt als brauner Bär zu Besuch. Er läßt seinen Bauch platzen, und heraus kullern Bälle, die die Kahlo kitzeln. Sie lacht sich halbtot dabei. Ein erstaunlich sensibles Stück, das Kresnik da komponiert hat, mit wunderbarer Musik (Kurt Schwertsik). Sie ist oft traurig, mitunter mächtig wie ein Gewitter. Tote werden in Mexiko nicht beweint, man sitzt an ihren Gräbern, betrinkt sich und lacht. Das hat Kresnik kapiert, Kresniks Theatertruppe tanzt den Tod und das Kranksein der Kahlo, wie sie beide verstanden hat: als Bestandteil des Lebens. Schwer tut Kresnik sich allerdings mit den Übergängen: ein Effekt erschlägt den nächsten, weil zu viele in seinem Kopf herumspuken. Glitterregen, Bunsenbrenner, 13 Kahlos mit den buschigen zusammengewachsenen Augenbrauen, Foto-Blitze, eine gigantische Sowjetfahne, damit auch der letzte Depp weiß, die Kahlo war dem Sozialismus zugetan. Jedes für sich ist wichtig und witzig. Doch das Ganze ist dann weniger als die Summe seiner Teile. Thorsten Schmitz
Nächste Vorstellungen: 18.9. und 2.10., 19.30 Uhr, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte.
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