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SanssouciNachschlag

■ "Im Westen alles nach Plan" - Ein Film über Armut

Ein Bild – nicht aus dem Film, sondern von der Straße Foto: Marcus Höhn

Helmut Kohl besteigt eilig seinen Diensthubschrauber. Da richtet einer der filmenden Beobachter noch eine Frage an ihn: „Was ist für Sie Armut, Herr Kohl?“ – „Das ist Armut, wenn man so Bilder aufnimmt.“ Das hat gesessen! Der Kanzler betritt jetzt seinen Kanzlerhubschrauber und hat nun Zeit, sein Land vom Himmel aus betrachtend, sich selbstzufrieden ins Kanzlerfäustchen zu lachen. Armut! Kann der nicht nach Aufschwung Ost fragen? Na, das nächste Mal überlegt der sich's.

„Im Westen alles nach Plan“ ist ein Film über die Armut in Deutschland oder, besser: es ist ein Film über Menschen, die in Armut leben, denn „Armut“ ist ebenso wie „Arbeitslosigkeit“ ein Begriff geworden, den man im täglichen Nachrichteneinerlei in Statistiken zu begreifen gelernt hat. Ausdrücke wie „Sockelarbeitslosigkeit“ sind Sprachschöpfungen, die den Gegenstand so stark von seinem Begriff abstrahieren, daß man glauben muß, so etwas wie „Sockelarbeitslosigkeit“ sei nicht zu ändern. Hans Peter Clahsen und Michael F. Huse haben in ganz Deutschland mehrere Monate lang Menschen beobachtet, die in Armut leben, und diese Bilder kontrastiert mit schmetternden christlich-demokratischen Botschaften des Optimismus und der Lebensfreude, von Leistung, die sich lohnen muß, und Chancen, die für alle gleich sind. Diese einfachen Mittel funktionieren, weil die Protagonisten, die ihre Geschichte erzählen und in ihrem Alltag beobachtet werden, so klar und selbstverständlich hervortreten. Das Filmteam hat so lange mit den Menschen gelebt, daß die Kamera im Obdachlosenasyl schon gar nicht mehr störte. Keine Szene wirkt inszeniert. Das ist wohl die größte Stärke des Films.

Die Diskussion, die der Vorführung des Films am Mittwoch in der Urania folgte, brachte das Problem jedoch wieder auf die altbekannte Ebene. „Die Sozialhilfe wurde in diesem Jahr nur um eine Mark erhöht, und das ist schlimm. Der Frau Sozialsenatorin möchte ich daraus jedoch keinesfalls einen Vorwurf machen.“ So eröffnete die Dame vom Paritätischen Wohlfahrtsverband die Runde. Die Parteienvertreter waren von den gesehenen „Einzelschicksalen“ durchaus betroffen, hatten jedoch alle in ihrem Bereich getan, was getan werden konnte. Das wußten wir. Herzlichen Dank. Volker Weidermann

Ab Anfang Oktober wird der Film in verschiedenen Kinos gezeigt, unter anderem vom 13. bis 16. Oktober im Moviemento, Kottbusser Damm, Kreuzberg.

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