Sanssouci: Vorschlag
■ Bläser im Tränenpalast
Ihr ureigenstes Element sei Krach und Lärm, sagt IG Blech über sich selbst. Das Publikum kann das bestätigen und kommt doch immer wieder, seit gut zwanzig Jahren. Wer die Gruppe aus 17 BläserInnen und zwei Taktschlägern allerdings zum ersten Mal erlebt, begreift plötzlich, daß sauber gespielte Blasmusik nichts mit Bundeswehrmarschkapellen oder Polizeiorchestern zu tun haben muß, die im Bierzelt zum Prosit der Gemütlichkeit ansetzen. Die Musik ist nicht zu fassen, und das liegt nicht allein daran, daß IG Blech nur selten auf Bühnen, sondern meist irgendwo auf der Straße, auf Festen oder Demos spielen. Und dann liegt es auch an der musikalischen Vielfalt: HeavyMessingWorldMusic nennen sie ihre „Musik mit dem Charme der überreifen Limone, der Spritzigkeit des alternden Frühlings und dem Witz ostfriesischer Jodlergruppen.“ Ein trötender musikalischer Amoklauf durch lateinamerikanischen Samba und Calypso, osteuropäische Folklore, Klezmermelodien, afrikanische Rhythmen und – wenn's sie überkommt – deutsches Arbeiterlied.
Dabei war das Selbstverständnis der Gründerzeit, als IG Blech noch „Rotes Signal“ hieß und in Matrosenuniformen als Agitpropkapelle der maoistischen KPD antrat, noch schneller verblasen als die letzten K-Gruppen. Und im neuen Deutschland finden sie es riskant, weiterhin das chilenische Widerstandsstück vom vereinten Volk zu spielen, das – na klar – siegen wird. Aber die Idee, möglichst laut und auf der Straße internationale Musik zu spielen, ist geblieben.
Mit dieser Idee steht IG Blech längst nicht mehr allein. Die niederländische „Fanfare Van De Eerste Liefdesnacht“ entstand Anfang der 80er Jahre aus der Amsterdamer Kraaker-Bewegung. Die zwanzig BläserInnen bewegen sich musikalisch zwischen Oper, arabischen Klängen und indischer Filmmusik; auch bei ihnen zählt der Kontakt zum Publikum, nicht die Konzertanz.
Die Aachener Gruppe Lauter Blech, die 16 Menschen hoch zum ersten Mal in Berlin spielt, ist der Neuling der Szene. Man darf gespannt sein, wie sie Jazzthemen von Duke Ellington bis Herbie Hancock präsentieren. Mit lauter Blech eben. Bernd Pickert
Brasso Continuo, am Sonntag um 21 Uhr im Tränenpalast.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen