Sanssouci: Nachschlag
■ Uraufführung im MGT-Studio: „Das Stalinmädchen“
Angenehm nüchtern ist der Erzählton über weite Strecken hinweg, die Erinnerungen überstürzen sich, manchmal geraten sie ins Stocken. Drei Männer und drei Frauen treffen sich auf der Studiobühne des Maxim Gorki Theaters. Sie berichten von ihren Selbstmordversuchen oder dem Freitod von Freunden. Kein anklagendes Jammern, bestechend einfach erzählen vor allem Manja Behrens, Hilmar Baumann und Anne-Else Petzold von der Kindheit in stalinistischen Lagern oder vom „Abstellgleis“ Rentnerdasein. „Stalinmädchen“ heißt die Inszenierung nach dem Buch „Im Banne des Todes. Geschichten russischer Selbstmörder“ von Swetlana Alexijewitsch.
Mitten auf der Bühne steht eine Treppe. Sie führt, ab der Mitte schwarz angestrichen, an die Decke, ins Nichts. Sechs Gasbrenner sind rechts an der Wand neben Erinnerungsstücken wie Briefen und Fotos auszumachen. Aus den Brennern züngeln am Ende Flammen, es sind – natürlich – die „ewigen“ Flammen, die das tödliche Gas verzehren. Der Regisseur Kurt Veth bedient das Publikum. Und er vertraut den Erzählungen des Buches nicht. Wo der freiwillige Tod längst beschlossene Sache ist, wird hier mit zusätzlichen Texten versucht, seine Existenzberechtigung zu untermauern, indem ein Schuldiger präsentiert wird. Natürlich: Die Gesellschaft ist an allem schuld, so der Handzettel zur Aufführung. Und so wurde auch die Prawda als allgemeine Bühnenlektüre verordnet, „Klassenfeifeind“ heißt die Schlagzeile – ein Druckfehler, der die „Wahrheit“ von Anfang an diskreditiert. Zusätzlich werden die Bibel und Dostojewskis „Dämonen“ bemüht, um an den Sinn des Lebens zu gemahnen. Derart belehrend und moralisierend verwebt Veth die Schicksale auf der Bühne und nimmt den Individuen nicht nur die Freiheit zur (auch) eigenverantwortlichen Tat, er nimmt ihnen die Würde und den Texten die Tiefe. Auch die Überleitungen von einem Monolog zum nächsten wirken mit ständigen „Blacks“ und musikalischen Brücken (etwa kommunistischen Aufbauliedern) reichlich konstruiert. Die Geschichte, die Alexijewitsch „in Form von lebendigen Zeugnissen, lebendigen Energien“ erzählt, fällt so innerhalb von zwei Stunden in die Totenstarre. Petra Brändle
Wieder heute, 16. und 25.10., 20 Uhr, Studio des Maxim Gorki Theaters, Hinter dem Gießhaus, Mitte.
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