Sanssouci: Vorschlag
■ „The Berlin Suite, Teil 1“ von Gayle Tufts am Halleschen Ufer
„Hauptmietvertrag“ ist ein Wort, das sich nur schwer mit aufwendigen Zusatzerklärungen ins Englische übersetzen läßt. „Work in progress“ wiederum ist ein englischer Ausdruck, der im Deutschen mindestens drei Zeitungszeilen plus eine Anmerkung der Übersetzerin braucht. Beide Wörter kommen im neuen Programm der Unterhalterin Gayle Tufts im Foyer des Theaters am Halleschen Ufer vor. Bei der New Yorker Berlinerin handelt es sich um eine dem Kabarett nicht abgeneigte Unterhalterin. Deshalb reicht es für die Gestaltung des unwiderstehlichen kabarettreifen Ambientes aus, den Bühnenraum mit herunterhängenden Tapetenbahnen anzudeuten und die Zuschauer an schwarzen Plastiktischen und -stühlen Platz nehmen zu lassen. Als Beleuchtung dient die vorbeifahrende U-Bahn.
Gayle Tufts, die auf der Suche nach dem Kabarett der zwanziger Jahre, an das sie anknüpfen will, nach Berlin gekommen ist, hat seit kurzem einen „Hauptmietvertrag“. Da kann man ihr nur gratulieren, ist sie doch an ihrem exklusiv gesprochenen Deutsch-Amerikanisch akustisch sofort als Ausländerin zu erkennen und damit als potentielle Hauptmieterin erfahrungsgemäß benachteiligt. Aber das gezielt betonte Wort „Hauptmietvertrag“ reizt wohl vor allem diejenigen zum Lachen, die selbst danach jagen. Kabarett lebt davon, daß es den Spiegel vorhält, ohne zu moralisieren. Deshalb erzählt Gayle Tufts solche Geschichten von sich, die andere auch betreffen könnten. Vom „Kühlschranktest“ nach der „Ersten Nacht“ oder vom Versuch, eine neu gemietete Wohnung mit Freunden zu tapezieren – „wer von Ihnen hat eine Baustelle vor dem Fenster?“ fragt sie , weil sie von dem schwärmt, was unfertig ist. Für sie ist ganz Berlin ein „work in progress“, genauso wie ihr Programm „The Berlin Suite, Teil 1“. Lustvoll verarbeitet sie die Widerwärtigkeiten des Stadtlebens, und nur manchmal setzt sie ihre Worte und ihren Körper dabei allzu übertrieben in Szene.
Was Gayle Tufts erzählt, singt sie auch. Laut und schnell und schrill und aufgefangen von hervorragend arrangierten Kompositionen ihres „Everchanging Orchestra“ mit dem Gitarristen Michael Rodach, dem Kontrabassisten Hartwig Nickola und Rudi Neuwirth am Schlagzeug. Ihre rockige, kratzige Stimme ist zu groß für das schmale Foyer. Zwischendurch allerdings präsentiert sie auch Balladen des leisen Genres. Leider passen diese weder zum Ambiente noch zu ihrem exaltierten Charakter noch zu ihrem Leopardenmuster-Outfit oder dem „Übergearbeitet(en), unterbezahlt(en), ohne Liebe Blues“. Waltraud Schwab
Noch heute und morgen, 22.30 Uhr, Theater am Halleschen Ufer (32), Foyer, Kreuzberg
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